Hamburg. Der Arbeitstag auf dem Großmarkt beginnt in der Nacht. Chefin Eliane Steinmeyer über Familienbetriebe und die Versorgung der Stadt.

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Gegen Mitternacht treffen die ersten Einkäufer ein. Der Handel startet, es kommt Leben in die Halle des Großmarkts Hamburg in Hammerbrook. Viele Hanseaten und auswärtige Stadtbesucher kennen das große Gebäude unweit der Amsinckstraße mit seinem auffällig geschwungenen Dach. Ohne den Großmarkt wäre das Lebensmittelangebot in der Stadt längst nicht so üppig wie heute üblich, sagt Geschäftsführerin Eliane Steinmeyer im Abendblatt-Podcast „Schmeckt’s?“.

Der Hamburger Großmarkt von innen.
Der Hamburger Großmarkt von innen. © HA | Marcelo Hernandez

Der klassische Großmarkthandel findet im Erdgeschoss der markanten Halle statt. Die größten Kunden sind nach dem Umsatz die Supermärkte. Von der Anzahl her dominieren aber die Wochenmarkthändler sowie Einkäufer aus der Gastronomie, von Hotels und kleineren Fachgeschäften, Letztere speziell auf dem Blumenmarkt. Durch die Pandemie sei es in der Nacht deutlich ruhiger geworden, bedauert die Marktchefin.

Durch den Corona-Lockdown "ist ganz viel weggebrochen"

„Wir haben zwar mehr Auslieferungen, aber die Einkäufe für Hotels, Restaurants und Caterer sind gerade in der Lockdown-Zeit weggefallen. Ebenso die Kreuzfahrtindustrie. Wir haben einige Händler, die sich auf diese Kundengruppen spezialisiert haben – da ist ganz viel weggebrochen.“ Andere Händler haben mehr Umsatz gemacht, vor allem mit Frischware für die Wochenmärkte. „Unterm Strich wird die gleiche Menge Obst und Gemüse konsumiert wie zu Zeiten ohne Lockdown“, sagt Steinmeyer. „Aber es fallen bestimmte Produkte weg, zum Beispiel Deko-Salat für die Gastronomie oder Babygemüse.“

Der Großmarkt sei für die Erzeuger in der Metropolregion und darüber hinaus ein wesentlicher Vertriebskanal, so die Chefin eines 36-köpfigen Teams. „Bei den Blumen merken wir das Frühjahr besonders. Wenn die Garten- und Balkonsaison wieder losgeht, ist hier Hochsaison.“ Bei Obst und Gemüse liegen die Hauptumschlagszeiten vor den Feiertagen – zu Ostern und Weihnachten werde mehr gegessen. Der Anteil von regional erzeugten Produkten sei dagegen während der Haupterntezeit im Sommer und Herbst besonders hoch.

Ein Tag ohne Großmarkt? Das würde Hamburg sofort merken

Die Stadt frisst dem Großmarkt quasi aus der Hand. „Wir sind ein wesentlicher Bestandteil der Lebensmittelversorgung Hamburgs“, betont Steinmeyer. „Wenn wir mal einen Tag schließen würden, könnte man das sofort auf den Wochenmärkten und in der Gastronomie merken.“

Im ersten Lockdown vor einem Jahr habe es Nachschubprobleme durch die Grenzschließungen gegeben; viel Ware sei verspätet angekommen. „Da war es dem Großmarkt zu verdanken, dass alles im Prinzip verfügbar blieb, weil unsere Verkäufer dann untereinander handeln. Wenn ein verspäteter Lkw aus Spanien eintraf, wurde seine Ladung unter den Händlern verteilt. Insofern ist der Großmarkt schon eine sehr elementare Drehscheibe.“ Übrigens auch für Einkäufer aus dem Umland und sogar aus Dänemark und Polen.

"Das ist ein klassischer Markt, wie man sich das so vorstellt"

350 Marktfirmen mit 3200 Mitarbeitern sind auf dem Großmarkt vertreten. Auf der Abnehmerseite stehen um die 6000 registrierte Einkäufer. Dennoch kenne in der Halle jeder jeden, sagt die Marktchefin: „Da wird viel geschnackt, es herrscht ein sehr direkter Umgang miteinander. Bei uns wird noch echt gehandelt – das ist ein klassischer Markt, wie man sich das so vorstellt.“

Jeder in Hamburg erkennt den Großmarkt schon von weitem.
Jeder in Hamburg erkennt den Großmarkt schon von weitem. © HA | Andreas Laible

Die Händler seien teilweise Familienunternehmen in fünfter Generation. Viele von ihnen haben schon als Kinder ihre Eltern in die Halle begleitet. Auch manche Einkäufer kommen seit Jahrzehnten. Denn auch Wochenmarkthändler sind häufig Familienunternehmen. Der Großmarkt sei nach wie vor eine Männerdomäne, sagt die Chefin. „Die Frauen sind in der Halle in der Minderheit. Allein wegen der Arbeitszeiten von Mitternacht bis morgens um acht, neun Uhr. Die sind nicht familienfreundlich.“

Die Zahl der Händler ist gesunken – dafür sind sie größer als früher

Die Obst- und Gemüseerzeuger seien in einer Genossenschaft organisiert, die eine eigene Fläche habe. Die Landwirte teilten sich die Arbeit im Betrieb und nachts auf dem Großmarkt mit anderen Familienmitgliedern oder Hofmitarbeitern.

In der Kundschaft habe sich über Jahrzehnte ein Wandel vollzogen, so Steinmeyer. Die sogenannten Tante-Emma-Läden sowie kleine Obst- und Gemüsegeschäfte seien deutlich weniger geworden. Und mit ihnen die Zulieferer. „Wir haben noch Vollauslastung in der Halle, aber die Zahl der Händler ist über die Jahrzehnte gesunken. Dafür sind sie größer geworden und haben sich anders aufgestellt, etwa indem sie die Auslieferungsdienste übernommen haben.“

Rund 500 Lkw steuern täglich den Hamburger Großmarkt an

Traditionell liegen Großmärkte mitten in den Städten. Der Großmarkt Hamburg ist seit 1962 (inklusive Bauzeit seit 1958) an seinem jetzigen Standort, wobei die Blumen erst 1984 aus den Deichtorhallen hinzukamen und einen Anbau bezogen. Ungefähr 500 Lkw steuern täglich den Großmarkt an. Verkehrstechnisch sei die Innenstadtlage ideal, sagt Steinmeyer: „Die frische Ware wird zentral umgeschlagen. Weil wir hauptsächlich nachtaktiv sind, belasten wir die Straßen nicht während des Berufsverkehrs. Wir liegen direkt an einem Autobahnzubringer und nahe am Hauptbahnhof.“

Die große Halle trägt seit 2017 den Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“. Sie bietet inklusive eines Bürotrakts auf der Südseite 100.000 Quadratmeter Nutzfläche, davon 40.000 im Erdgeschoss. Im Zwischengeschoss befinden sich Ladestationen für die Elektrofahrzeuge, im Untergeschoss Lagerflächen, die Kommissionierung und eine Bananenreiferei.

10.000 Quadratmeter Anbau – extra für dne Blumenhandel

Der Anbau für den Blumenhandel nördlich der Markthalle ist 10.000 Quadratmeter groß. Im Außenbereich stehen diverse Umschlaghallen von Firmen, die in erster Linie Supermärkte beliefern. Ende Januar hat der Senat die Standortgarantie für den Großmarkt um zehn Jahre bis zum Ende 2044 verlängert, sehr zur Freude von Eliane Steinmeyer: „Wir sind jetzt sicher, dass wir mindestens 23 Jahre vor Ort bleiben können. Damit lässt sich planen und investieren.“

Der Großmarkt schläft nie. Gelände und Halle sind an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet. „Die Auslieferung findet tagsüber statt, ist aber etwas ruhiger. Deshalb denken viele Leute, die mit der Bahn bei uns vorbeifahren, am Tag wird hier nicht gearbeitet. Der Eindruck täuscht.“ Die Händler beliefern vor allem Supermarktketten und die Gastronomie mit großen Lkw, Kleintransportern oder Elektrofahrzeugen. Zudem werde rund um die Uhr angeliefert, so Steinmeyer. Auch in den Büroräumen sei immer jemand am Arbeiten: „Unsere Händler haben viele Kontakte zu Erzeugern im Ausland. Je nachdem, in welchen Zeitzonen die sich befinden, wird auch mal nachts telefoniert.“

Die Gäste auf dem Gelände des Großmarkts: Ein Theater und ein Museum

Die Einkaufszeiten sind etwas geringer: Der Handel beginnt in der Nacht von Sonntag auf Montag und endet am Sonnabendvormittag. Zum Abend hin übernimmt in coronafreien Zeiten ein Exot das weitläufige Marktgelände, das Mehr! Theater. Vor acht Jahren sei Inhaber Maik Klokow auf der Suche nach einem Platz für sein Musical-Theater gewesen, erzählt Steinmeyer, die seit sechs Jahren die Geschäfte des Großmarkts führt. Bei der Internet-Recherche sei ihm die große Parkfläche vor der Halle aufgefallen. 2013/14 wurde das Mehr! Theater in die Halle hineingebaut und im März 2015 eröffnet. Auch die Harley Days nutzen das weitläufige Gelände, und mancher Busfahrer absolviert hier sein Fahrtraining.

Ein Dauergast ist das Deutsche Zusatzstoffmuseum. Es residiert seit 2008 in einer separaten Halle und passe sehr gut zum Großmarkt, findet Steinmeyer. Es zeige die Geschichte des Einsatzes von Zusatzstoffen bis hin zur ausgefeilten Lebensmittelchemie und sei „sehr, sehr spannend anzuschauen“. Auch der Großmarkt informiere über Lebensmittel. Ein Highlight in normalen Jahren sei der Food Market Anfang September. Dann finden sich in der großen Halle nicht nur Obst- und Gemüsebauern ein, sondern auch Erzeuger und Händler von Käse, Fleisch, Fisch, Gewürzen, Bier.

Führungen über den Hamburger Großmarkt – nichts für Spätaufsteher

Wer mal in die Großmarkt­atmosphäre eintauchen möchte, kann in Zeiten ohne Pandemie an Führungen teilnehmen. Die sind für passionierte Frühaufsteher gemacht. Es geht kurz vor sechs Uhr los – „das ist bei uns bereits kurz vor Feierabend“. Die Führungen dauern knapp zwei Stunden und werden mit einem kleinen Kaffee abgeschlossen, so Steinmeyer. Dann ist auch der Handel beendet.

Als letzter Marktbereich schließt der Blumenmarkt am Morgen gegen sieben, acht Uhr. Anschließend wird aufgeräumt und in der großen Halle noch ein bisschen Papierkram erledigt. Der Vormittag gehört dem Reinigungsdienst. Gegen 17 Uhr fangen die ersten Marktbeschicker an, aufzubauen und sich für die kommende Nacht zu rüsten.