Hamburg. Außerdem haben viele von ihnen Eigenschaften, die dem Körper nützen, wie die Expertin Viola Vierk in „Schmeckt’s?“ erläutert.

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Gegen jedes Leiden ist ein Kraut gewachsen und ebenso für jedes Gericht, von der Suppe bis zum Nachtisch. Viola Vierk, Chefin des Gewürzmuseums in der Speicherstadt, räumt in der neuen Folge des Abendblatt-Ernährungspodcasts „Schmeckt‘s?“ mit Vorurteilen auf („Zimt ist kein Weihnachtsgewürz“) und lobt die Vielseitigkeit von Kräutern und Gewürzen – im Geschmack, aber auch als Wohltäter für den Körper.

Küchenkräuter und Gewürze seien ursprünglich als Heilmittel und Aphrodisiakum eingesetzt worden, sagt Vierk, die 14 Jahre lang als Gewürzeinkäuferin durch die Welt reiste. „Dass man damit Getränke oder Speisen geschmackvoll gestalten kann, kam erst sehr viel später.“ Wenn‘s ums Würzen geht, sollten Hobbyköche kreativ werden, ein bisschen experimentieren und sich nicht sklavisch an Rezepte halten: „Jeder hat einen anderen Geschmackssinn. Einige Leute mögen gern scharfes Essen. Bei anderen wird der Kopf rot, die Augen tränen, und die Stimme ist weg.“

Langsam anfangen und bei Bedarf nachwürzen

Wer sich nicht sicher ist, ob ein Gewürz zum Gericht passt, könne es in die Hand nehmen, daran riechen und schmecken, um sich das Zusammenspiel mit dem, was auf dem Herd steht, besser vorstellen zu können. Und: „Langsam anfangen und bei Bedarf nachwürzen. Dabei nicht zu zögerlich sein.“ Über das Museum verkauft Vierk die Gewürzlinie Spicy‘s inklusive Gewürzmischungen. Vorbereitete Mischungen machen das Würzen für die Verbraucher einfacher und zeigen, „dass man sehr gut verschiedene Geschmackskomponenten wie herb, süß, scharf, salzig zusammenbringen kann“, sagt sie und outet sich als Salz-Gegnerin (das ja gar kein echtes Gewürz ist): „Mit etwas Salz kann man eine gewisse Note ins Gewürz bringen. Aber in den Mengen, in denen die Deutschen Salz zu sich nehmen, ist es sehr ungesund. Die Leute würden gut daran tun, das Salz mal ein bisschen aus der Suppe zu nehmen und Gewürze hineinzutun.“

Viola Vierk hat ihren eigenen kleinen Kräutergarten auf ihrer Loggia. „Da habe ich immer einige Töpfe stehen. Das sieht gut aus und duftet wunderbar. Die mediterranen Kräuter sind recht robust. Rosmarin, Thymian oder Majoran gedeihen – außer bei Dauerfrost – gut auf der Terrasse oder auf der Fensterbank. Die sprießen oft so stark, dass sie gebändigt werden müssen. Wenn sie sich zu sehr breit machen, sind die ätherischen Öle nicht so intensiv, die Kräuter nicht so geschmackvoll. Dann hilft ein Rückschnitt.“

Petersilie, Dill, Kerbel, Liebstock sollte man frisch verarbeiten

Kräuter haben im Vergleich zu Gewürzen deutlich weniger ätherische Öle, die bei der Trocknung zudem teilweise verloren gehen. „Alle mediterranen Kräuter haben einen relativ hohen Ölgehalt. Die können Sie getrocknet wunderbar verwenden“, sagt Vierk. Alles, was Richtung Petersilie, Dill, Kerbel, Liebstock geht, sollte man frisch verarbeiten – „getrocknet schmeckt das wie Laub“. Da sei dann kaum noch Öl enthalten. Bei den mediterranen Gewächsen gebe es eigentlich kein Gericht, das nicht auch mit der getrockneten Variante gekocht werden könne. Dazu die Kräuter mit ein paar Tropfen Öl kombinieren: „Mit ihm können sie sich vollsaugen, dann funktionieren sie gut. Ich benutze sowohl frische als auch getrocknete Kräuter.“

Die grünen Geschmacksgeber sollte man nicht zu sehr mitkochen oder braten, damit sie nicht verbrennen oder zu viel Aroma verlieren. Klassische Gewürze wie Pfeffer, Ingwer oder Kurkuma sind da weniger empfindlich, denn sie haben einen sehr viel höheren Ölgehalt. Auch Gewürztunken und -marinaden können problemlos mitgegart werden. Manche Gewürze werden sogar noch angeröstet, damit sie ihre Inhaltsstoffe preisgeben.

„Die Tonkabohne ist sehr vielseitig, und man hat sie als Vanilleersatz entdeckt.“

Gewürze sind seit Jahrtausenden bekannt und werden oft traditionell eingesetzt, aber es gibt auch Trends. Vor einigen Jahren ist die Tonkabohne in Mode gekommen, eine dunkelbraune bis schwarze Bohne, ein Samen, der aus Südamerika kommt. Vierk: „Ihn haben die Schamanen und Hexen schon im Mittelalter benutzt. Nicht als Gewürz, sondern weil er als Glücksbohne gegolten hat – in Südamerika trägt man heute noch eine Tonkabohne im Portemonnaie.“ Sie rieche und schmecke wie eine Mischung aus Waldmeister, Heublumen, Vanille und Mandel. „Die Tonkabohne ist sehr vielseitig, und man hat sie als Vanilleersatz entdeckt.“

Vanille ist seit einiger Zeit sehr knapp und entsprechend teuer. Taifune hatten Ernten zerstört, die Pflanzen müssen erst nachwachsen. „Wir haben bis zu vierfach höhere Preise gehabt. Alles, was jetzt nachkommt, ist nur in kleinen Mengen verfügbar. Es wird noch ein, zwei Jahre dauern, bis wieder das normale Niveau erreicht ist.“ Die Tonkabohne sei ein günstiger Ersatz. Dank ihrer Vielseitigkeit ließen sich mit ihr sowohl süße als auch herbe Speisen würzen. „In unserer Gewürzmischung Hot Tonka haben wir die liebliche Tonka mit einem herben Kardamom und einem ganz besonderen langen Pfeffer als etwas schärfere Komponente kombiniert. Die kann man zu Süßspeisen geben, auf eine Tomate streuen, auf Fleisch oder in eine Gemüsepfanne.“

Zimt kommt das ganze Jahr zum Einsatz

Gewürze und Kräuter haben eigentlich immer Saison, findet Vierk. So sei Zimt kein Weihnachtsgewürz, sondern wird das ganze Jahr über eingesetzt, zum Beispiel auf Milchreis oder Pfannkuchen. Jahreszeitliche Schwankungen gebe es am ehesten bei frischen Kräutern; sie werden im Sommer vermehrt angeboten. Im Winter kommen dagegen wärmende Gewürze zum Einsatz. Vierk: „Ingwer wird in der Erkältungszeit vorbeugend oder lindernd eingenommen, aber auch, weil er die Durchblutung fördert und so den Körper wärmt. Auch Zimt wärmt. Diese Wirkung wird stärker, wenn man das Gewürz mit einem Heißgetränk zu sich nimmt. Trinken Sie mal eine heiße Schokolade mit einem Chili, etwas Ceylonzimt und Schokoladenpfeffer, dann werden Sie merken, wie wärmend Gewürze sein können.“

Nach Hamburg kommen fertige Produkte im Container

Manch exotisches Gewürz mag noch an die orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnern, doch die – sinnlichen – Zeiten, in denen Gewürzeinkäufer in der Welt herumreisten, seien vorbei, sagt Vierk. „Ich habe früher in den Produktionshallen noch Leute mit großen Sieben sitzen sehen, das läuft heute alles über Maschinen. Die Gewürze werden schon im Ursprungsland gereinigt. Das Know-how der wenigen großen Gewürzfirmen wird zu den Produzenten gebracht. In Hamburg kommt dann ein sehr gut aufgearbeitetes Produkt an – im Container. Eine Ausnahme bildet vielleicht der Safran, weil er sehr teuer ist. Die Mengen sind zu klein, um in einen 20-Fuß-Container verladen zu werden.“

Die Geschichte des Gewürzumschlags im Hafen können die Hamburger derzeit nur digital erkunden, denn das Museum in der Speicherstadt ist seit November und schon zum zweiten Mal geschlossen. Das bedrückt Viola Vierk sehr: „Nicht nur der Museumsbetrieb fällt aus, wir leben auch ganz stark von Veranstaltungen. Die mussten wir alle absagen. Unsere Rücklagen sind jetzt weg.“ Immerhin hilft staatliche Unterstützung beim Überleben.

Der Shop und der Online-Versand mit rund 70 Einzelgewürzen und einigen Mischungen seien im Moment die einzigen Einnahmequellen, so Vierk. „Aber es reicht nicht aus. Außer mir arbeiten noch vier Festangestellte und um die zehn Aushilfen im Gewürzmuseum. Wir können nur hoffen, dass wir möglichst bald wieder öffnen können und dass dann die Leute auch kommen.“

Gewürzmuseum im Internet: www.spicys.de Adresse: Am Sandtorkai 34. Öffnungszeiten des Gewürzshops während der Bürozeiten: Mo–Fr 10 bis 17 Uhr