Hamburg. Im Podcast „Millerntalk“ spricht Sandra Schwedler, Aufsichtsratschefin des FC St. Pauli, über den Wandel von Fan zur Funktionärin.

Ihren Sonntag hatte sich Sandra Schwedler eigentlich ganz anders vorgestellt. Gemütlich frühstücken, die Kleidung heraussuchen, die beim jüngsten Sieg des FC St. Pauli Glück gebracht hat, kurz in der Kneipe Jolly Roger Hallo sagen, anschließend Richtung Gegengerade pendeln und einfach nur mit Freunden und Bekannten vor allem über Fußball quatschen. Doch in Zeiten von Corona ist eben nichts so, wie es mal war. Das Spiel des Kiezclubs an diesem Sonntag gegen den Karlsruher SC wird die Aufsichtsratsvorsitzende nicht im Millerntor-Stadion anschauen, sondern im Fan-Radio der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) verfolgen.

„Ich habe mich dazu entschlossen, weil keine Zuschauer zur Partie dürfen. Schon bei 1000 Fans fand ich es schwierig. Gemeinsam Fußball zu schauen, ist für mich ein großer Teil des Stadionerlebnisses. Fußball ist mehr als nur 90 Minuten“, sagt die 40-Jährige im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“. Gelebte Solidarität, die offenbart, dass Schwedler nicht nur Funktionärin ist, sondern vor allem eines: Fußballgan mit Leib und Seele.

Die gebürtige Hamburgerin kennt eben beide Seiten der Fußballmedaille. Ihre Liebe zum FC St. Pauli begann 1994 als junges Mädchen. Bis heute hat sie eine Dauerkarte für die Gegengerade und ist Mitglied im Fanclub „Die feuchten Biber“. Vor Corona, daraus macht sie keinen Hehl, hat sie sich auf den Stehplätzen wohler gefühlt als auf den Sitzschalen der Haupttribüne. Die Leidenschaft für Fußball ist noch da, nur fühlt sich eben anders an, seit sie 2014 das Amt der Aufsichtsratsvorsitzenden übernommen hat.

Was dem FC St. Pauli in der Corona-Krise hilft

Der ewige Gigantismus und die zunehmende Kommerzialisierung hat auch bei Schwedler Spuren hinterlassen. „Mein Blick auf den Profifußball hat sich verändert. Es gab in den vergangen sechs Jahren Momente, in den ich dachte: Puh, das System müsste dringend geändert werden. Wenn ich Fußball gucke, schaue ich nicht mehr mit leichtem Herzen“, gesteht Schwedler und fügt an: „Es ist emotional anstrengend, wenn man Verantwortung trägt. Wenn es mal sportlich nicht gut läuft, sagt man sich nicht: Egal! Abhaken. Dann trinke ich zehn Biere und weiter geht’s“, so die Aufsichtsratschefin, die in der dritten Frauenmannschaft der Handball-Abteilung des FC St. Pauli auf Torejagd geht.

Gerade in der Pandemie ist der Druck für die Funktionäre von Fußballclubs besonders groß geworden. Niemand weiß, wann die Gesellschaft und auch der Fußball wieder in eine gewisse Normalität gelangt. Auch der FC St. Pauli befindet sich in einem Überlebensmodus. Präsidium und Aufsichtsrat tragen Verantwortung für mehrere Hundert Mitarbeiter. „Wir sind schwer getroffen von Corona. Was uns aber relative Sicherheit verschafft, ist das gute und konservative Wirtschaften der vergangenen Jahre. Diese Basis rettet uns gerade. Es wäre aber Blödsinn zu sagen, wir schiffen locker durch die Pandemie“, erklärt Schwedler.

Wie lange allerdings die finanziellen Reserven reichen werden, vermag auch die St.-Pauli-Funktionärin nicht zu prognostizieren. Ohnehin betont Sandra Schwedler, dass die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit nur ein Teil der Krisenbewältigung ist. „Wir haben Millionenverluste im Fußball, aber was ist mit den Mitarbeiter*innen, die wir im Homeoffice halten und die in Kurzarbeit waren? Was hat Corona überhaupt für Auswirkungen für die Menschen und die sporttreibenden Abteilungen? Wir wissen nicht, wie es weitergeht, haben uns aber inzwischen daran gewöhnt, nur auf Sicht zu fahren“, sagt Schwedler.

Verkauf des Millerntor-Stadionnamens bleibt tabu

Regelmäßig tauschen sich Aufsichtsrat und Präsidium aus, um Lösungen zu erarbeiten, die dafür sorgen sollen, dass die Existenz des Vereins nicht früher oder später in Gefahr gerät. Vor knapp vier Wochen wurde bekannt, dass der FC St. Pauli bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Kredit von knapp unter drei Millionen Euro beantragt und bewilligt bekommen hat. Die Hamburger schließen nicht aus, weitere Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen.

Doch darüber hinaus will man auch selbst kreativ werden bei der Beschaffung von Geld. Bereits lange vor Corona hat der Verein mit dem Rückkauf der Merchandising-Rechte und dem Entschluss, die Vermarktung selbst zu übernehmen, weitsichtige Entscheidungen getroffen. „Was haben wir davon, wenn wir uns irgendwo 20 Millionen Euro leihen? Wie sollen die denn zurückgezahlt werden? Es liegt näher, dass wir schauen, welche Möglichkeiten es im vereinsnahen Umfeld gibt.“

So ist das vom ehemaligen Geschäftsführer Andreas Rettig vorgeschlagene Genossenschaftsmodell, bei dem Fans Anteile am Millerntor-Stadion erwerben können, noch immer ein Thema. „Das nächste Frühjahr wird hart. Wir gucken jetzt schon: Wo kriegen wir Gelder her? Wie sichern wir die Liquidität? Ein Investor, an den wir Anteile verkaufen, spielt bei uns keine Rolle. Das wollen wir ebenso wenig wie den Verkauf des Stadionnamens“, stellt die Aufsichtsratschefin klar.