Hamburg . Der Trainer im neuen Podcast über einen Image-Wandel im Verein, seine Kindheit und eine offene Rechnung mit Hecking.

Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die einem eine besondere Freude bereiten. Als Timo Schultz beim Redaktionsbesuch in der Abendblatt-Cafeteria einen kleinen Cappuccino mit Hafermilch bestellt, fällt ihm im Augenwinkel etwas auf. „Ihr habt meinen Lieblings-Schokoriegel. Den mit der grünen Verpackung mag ich besonders gerne“, sagt Schultz und greift sofort zu. Gut gestärkt und noch besser gelaunt absolvierte der Trainer des FC St. Pauli anschließend seinen allerersten Podcast-Termin.

Ab sofort ist der neue Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ online. Vor jedem Heimspiel werden Funktionäre, Spieler und Kultfiguren des Kiezclubs zu Wort kommen. „Ich freue mich sehr, dass ich der Premierengast sein darf. Ich bin nicht so der Podcast-Hörer-Typ. Ich habe es gerade mal geschafft, mir für meine Kinder Spotify zu installieren Mir fehlt aber auch einfach die Zeit“, gesteht der 43-Jährige.

Für Schultz ist der Coronatest wie Zähneputzen

In der Tag liegen arbeitsreiche Wochen hinter Schultz, der vor genau 97 Tagen das Amt des Cheftrainers von Jos Luhukay (57) übernommen hatte. Inmitten der Corona-Pandemie begann für den ehemaligen St.-Pauli-Profi das Abenteuer Profitrainer. „Meine allererste Sitzung im neuen Amt war gleich die Coronasitzung. Es war die Abstand längste seit ich hier bin“, erinnert sich Schultz zurück.

An die Maskenpflicht in den Katakomben und die regelmäßigen Rachenabstriche hat er sich dabei längst gewöhnt. „Das ist Routine und mittlerweile wie Zähneputzen. Es ist Wahnsinn, welchen Aufwand wir betreiben, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Privat vermeide ich Menschenmengen, haben meine Maske immer dabei, und bin immer fleißig am desinfizieren“, gibt Schultz Einblick in seinen Alltag.

Der St.-Pauli-Trainer will mit dem Kiezclub "Zurück in die Zukunft"

Auch unabhängig der Corona-Pandmie wurde es in den vergangenen Wochen nicht langweilig. Bei den St.-Pauli-Fans genießt der gebürtige Ostfriese hohes ansehen. Viele sehen in ihm den Mann, der die guten alten Zeiten rund um die Ära Holger Stanislawski zurückbringt. „Das ist mir zu einfach gedacht. Wir wollen die guten alten Tugenden beibehalten, aber gleichzeitig neue, moderne Ansätze dazunehmen“, sagt Schultz und ergänzt: „Ich habe bei uns mal das Bild von „Zurück in die Zukunft“ an die Wand geworfen. Wenn uns das gelingt und wir uns in ein paar Jahren hier zum nächsten Podcast treffen und ich immer noch im Amt bin, haben wir viele Dinge richtig gemacht“, sagt Schultz, der offen eingesteht, dass sich das Image des Vereins über die Jahre verändert hat.

Der Kiezclub soll unter Schultz eine fußballerische Identität bekommen

Deshalb wünscht sich Schultz, dass sich St. Pauli wieder mehr auf das besinnt, was ihn zu Zeiten der „Freibeuter der Liga“ ausgezeichnet hatte. „Wir stehen doch für das Freche, das bisschen rotzige, dass man mal über das Ziel hinausschießt. Diese Karte sollten wir viel öfter spielen. Wenn man dann mal auf die Fresse fliegt, dann ist das halt so“, sagt Schultz. Und genau diese Tugenden will Schultz in seine Mannschaft implementieren. „St. Pauli wird nie tiki-taka sein oder wie Bayern München oder Barcelona spielen. Ich will mutigen, von mir aus auch fehlerbehafteten Fußball sehen, weil er risikoreich ist. Aber es soll eine Mannschaft zu sehen sein, die füreinander brennt. Die Leute sollen sagen: die spielen echten St.-Pauli-Fußball“, erklärt der Coach.

Mit ostfriesischer Gelassenheit gegen Stress im Profifußball

Erste Ansätze konnte man bereits zu Saisonbeginn. Schultz ist es gelungen, eine durch das Missverhältnis zu Ex-Trainer Luhukay belastete Mannschaft wieder aufzurichten. Dabei setzt er auf eine Mischung aus Autorität und Nähe. „Diktatorischer Stil hat vielleicht in den 1980er und 1990er-Jahren funktioniert. Das ist jetzt eine neue Generation. Manche sagen Generation lustlos, aber man muss die Jungs überzeugen, dann investieren sie auch unglaublich viel“, erklärt Schultz, der seinen ersten Wochen als Profitrainer gleich die volle Bandbreite der Emotionen zu spüren bekam.

Das unnötige Aus im DFB-Pokal beim Viertligisten SV Elversberg (2:4), erfolgreicher Zweitliga-Start in Bochum (2:2) und gegen Heidenheim (4:2), vor der Länderspielpause der Rückschlag beim 0:1 in Sandhausen. „Ich spiele Fußball seit ich fünf Jahre alt bin, bin Profi seit ich 17 bin. Das ist mein Leben, und kann da gut mit umgehen. Vielleicht hilft mir da auch meine ostfriesische Gelassenheit“, verrät der dreifache Familienvater, der kein Geheimnis daraus macht, wie stolz er auf seine norddeutsche Herkunft ist.

Schultz wuchs behütet hinter dem Deich auf

Sein Elternhaus in Esens ist mehrmals im Jahr sein Rückzugsort. Offen erzählt Schultz im Podcast aus seiner Bilderbuchkindheit. „Das war, wie man sich das eben so vorstellt. Viele Kühe, viele Schweine, direkt hinter dem Deich mit viel Platz zum Fußballspielen. Meine Kindheit war wunderschön. Ich habe fantastische Eltern, die mir alles ermöglicht haben“, schwärmt Schultz und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Ich war als Kind und Jugendlicher komplett pflegeleicht. Meine drei Jahre ältere Schwester hat den Ärger und Diskussionen mit den Eltern abgegrast und ich bin durchgeflutscht“, scherzt Schultz, der ein großer Fan von Ostfriesen-Legende Otto Waalkes (72) ist und bis heute über seine Sketche und Filme lachen kann.

„Das ist unser Idol, das Ostfriesland über unsere Landesgrenze hinaus bekanntgemacht hat. Leider habe ich ihn noch nie kennengelernt“, sagt Schultz, der wohl mit dem FC St. Pauli die Champions-League gewinnen müsste, um dem Kultkomiker den Titel des berühmtesten Ostfriesen der Welt zu entreißen. „.Den Titel will ich Otto gar nicht abgrasen“, scherzt der St.-Pauli-Trainer.

An sportlichen Zielen wird es dem ambitionierten Schultz mit dem FC St. Pauli aber auch so ganz sicher nicht mangeln.

  • Den ganzen St.-Pauli-Podcast mit privaten Einblicken von Timo Schultz, einer Sprachnachricht von Kultstürmer Nico Patschinski und was den Trainer mit Nürnbergs Sportvorstand Dieter Hecking verbindet, hören Sie überall, wo es Podcasts gibt.