Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk von Piranesi.

Einmal die Woche spielen Hamburgs Kunsthallen-Direktor Alexander Klar und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar mit einem Kunstwerk. Eine halbe Stunde schauen sich die beiden ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur an und reden darüber: „Ein Gespräch ist die beste Möglichkeit, Kunst zu erschließen“, sagt Alexander Klar.

Heute geht es um die Architekturphantasie aus dem Jahr 1750 von Giovanni Battista Piranesi, die Alexander Klar an den Berliner Hauptbahnhof und Lars Haider, natürlich!, an die Elbbrücken denken lässt. Und ganz nebenbei erfahren die Hörerinnen und Hörer, was Zeitungen und Kunstwerke unterscheidet: nämlich die Frage, welche Rolle Papier für beide in der Zukunft spielen wird

Motive aus dem 18. Jahrhundert, deren Faszination bis ins Jetzt nachwirkt

In den berühmten „Carceri“ des venezianischen Künstlers Giovanni Battista Piranesi führen die Wege nicht nach Rom. Sie enden auch nicht – oder im unentrinnbaren Irgendwo. Der Betrachter kann und soll sich in diesen rätselhaften Labyrinthen verlieren. Rundbögen und Hängebrücken bilden einen geradezu sadistisch inszenierten Kerker. Kein Ausweg, nirgends, verstörende Visionen einer verschlossenen Welt.

Diese Vorstudie zu seinen Irrgärten aus Stein und Schatten ist eines der Piranesi-Blätter, die das Kupferstichkabinett der Kunsthalle aus seinem außergewöhnlich gut bestückten Bestand vorweisen kann. Obwohl Piranesi in seinen vielen Berufen – Künstler, Architekt, Archäologe, Designer, Verleger, Autor – oft seinen Blick auf detailgenaue Abbildung von Wirklichkeit legte, waren seine „Carceri“ von 1750 bzw. 1761 auch durch die Fantasie-Welten inspiriert, mit der Theater- und Opern-Bühnenbilder ihr Publikum berauschten.

Man hat die Radierungen als fixierte Albträume bezeichnet, auch als Porträts von Hallu­zinationen nach einem Malaria-Anfall. Klar ist nur: Sie sind Motive aus dem 18. Jahrhundert, deren Faszination bis ins Jetzt nachwirkt und in vielen Filmsets zitiert wurde, von Fritz Langs „Metropolis“ bis zu Ridley Scotts „Blade Runner“.

Giovanni Battista Piranesi „Architekturphantasie“ (1750er-Jahre, Feder in Braun, Rötel, braun  laviert,  153 x 217mm).
Giovanni Battista Piranesi „Architekturphantasie“ (1750er-Jahre, Feder in Braun, Rötel, braun laviert, 153 x 217mm). © Hamburger Kunsthalle, Foto: Christoph Irrgang

Dass der 1720 geborene Piranesi ein Zeichner-Händchen für die Überreste des antiken Roms hatte, die er unter anderem in seinen „Vedute di Roma“ aufs Papier bannte, brachte ihm das Etikett „Rembrandt der Ruinen“ ein. Die meisten seiner prunkvollen Architektur-Entwürfe blieben noble Luftschlösser, weil die solventen Kunden fehlten. Was der geniale, aber schwierige Gebäude-Künstler Piranesi nicht bauen konnte oder durfte, zeichnete er sich. Und unterschrieb so trotzig wie stolz mit „Piranesi, Architetto Veneziano“.

Piranesi wurde durch die Ruinen-Radierungen auch zu einem Kultur-Archäologen

Durch seine Ruinen-Radierungen wurde er auch zu einem Kultur-Archäologen, der sezierte, wie damals gebaut und ästhetisch gedacht wurde. Und was real nicht zu seinen Fantasien epochaler Wucht passte, wurde in den Kupferstichen gern mal passend gemacht, also: vergrößert; die „Antichità Romane“ machten ihn berühmt. In den letzten Lebensjahren – er starb 1778 – beschäftigte sich Piranesi auch mit Innenarchitektur und Raumausstattung, er handelte mit Antiquitäten und collagierte extravagantes Mobiliar und Kamineinfassungen aus antiken Fundstücken.

Touristen und Kunstexperten pilgerten zum Palazzo Tomati in der Nähe der Spanischen Treppe, zu Piranesis Verkaufslager antiker und eigener Objekte. Der gute Geschmack blieb übrigens in der Familie: Franceso, einer der zwei Piranesi-Söhne, wurde vom schwedischen Monarch Gustav III. zum Königlichen Agenten für die Schönen Künste in Italien ernannt.

Dieses und weitere Gemälde finden Sie hier in der Online-Sammlung der Hamburger Kunsthalle