Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk von Max Beckmann.

Einmal die Woche spielen Hamburgs Kunsthallen-Direktor Alexander Klar und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar mit einem Kunstwerk. Eine halbe Stunde schauen sich die beiden ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur an und reden darüber: „Ein Gespräch ist die beste Möglichkeit, Kunst zu erschließen“, sagt Alexander Klar.

Für diese Folge hatte sich Haider ein Bild von Max Beckmann gewünscht, „aber bitte kein Selbstporträt“. Und was bringt Klar mit: Eine nackte Frau, einen nackten Mann, ein Katze, eine Schlange und einen seltsamen Vogel – es geht um „Odysseus und Kalypso“ und die Frage, was Beckmann eigentlich so einzigartig macht. Und warum die Kunsthalle gerade dabei ist, ein weiteres Bild von ihm für vier Millionen Euro zu kaufen.

Beckmann floh 1937 von Berlin nach Amsterdam

Während der 1920er-Jahre erlebte Max Beckmann (1884-1950) den Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere: Der Expressionist hatte Ausstellungen in ganz Europa, wurde mit Preisen geehrt und erhielt Lehraufträge. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 endete dieser Höhenflug; er wurde als „entartet“ verfemt und floh 1937 von Berlin nach Amsterdam ins Exil. 1943 schuf er dort „Odysseus und Kalypso“.

Das in der Malerei selten dargestellte Thema beschäftigte Beckmann in jener Zeit. Homer schildert, wie der Held Odysseus auf seiner Rückfahrt von Troja Schiffbruch erleidet und auf einer Insel strandet. Hier verliebt sich die Nymphe Kalypso in ihn und verspricht ihm Unsterblichkeit, wenn er bei ihr bleibe. Odysseus schlägt das Angebot aus, da er zurück in die Heimat will. Erst nach sieben Jahren kann er mit Hilfe von Zeus den Ort verlassen.

Max Beckmann: „Odysseus und Kalypso“, 1943
Max Beckmann: „Odysseus und Kalypso“, 1943 © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford | VG Bild-Kunst, Bonn 2020 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

„Gleich einer Fessel windet sich die Schlange um Odysseus’ Bein und hindert ihn ebenso am Fortgehen wie die schöne Frau, die ihn umfängt und deren üppige Weiblichkeit symbolhaft durch die Katze noch verstärkt wird“, schreibt die Autorin Anna Heinze in der Sammlung Online. „Doch bleibt die Darstellung ambivalent, denn der Held scheint sich in die Situation zu fügen, seine Haltung wirkt entspannt. Im Kleid des antiken Epos thematisiert Beckmann die Verführungskraft der Frau und die Beziehung zwischen den Geschlechtern.“

Mythos vom starken, entschiedenen Maler bröckelte

Seit 1949 ist das Ölgemälde im Besitz der Hamburger Kunsthalle. Aktuell ist es in der Sonderausstellung „Max Beckmann. weiblich-männlich“ in der Galerie der Gegenwart zu sehen. Gerade das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, die Darstellung des vermeintlich typisch Weiblichen und Männlichen ist der Fokus dieser Ausstellung. Der Maler, dessen Leben zwischen 1900 und 1950 stattfand, in einer Phase, in der sich die Gesellschaft gravierend veränderte, beschäftigte sich intensiv mit philosophischen, psychologischen und okkulten Schriften. Bislang feststehende Bilder von Frauen und Männern begannen zu wanken und verschwammen ineinander.

Der berühmte Künstler der Klassischen Moderne griff diese Strömungen auf; „Odysseus und Kalypso“ ist eines dieser zentralen Werke. Auch in der Selbstdarstellung, die Beckmann durch seine Karriere hindurch emsig betrieb, bröckelte der „Mythos vom starken, entschiedenen Maler, der unerbittlich seine Zeit in Bilder fasst“, sagt Kuratorin Karin Schick. Vielmehr wurden Brüche, Unsicherheiten und Verschiebungen als Spiegel der Welt thematisiert.

Dieses und weitere Gemälde finden Sie hier in der Online-Sammlung der Hamburger Kunsthalle