Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar “Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: Ein Werk von Almut Heise.

Auf den ersten Blick ist es eine Küche, wie sie einem aus den 1960er-Jahren vertraut ist: Der Wasserkessel thront auf dem sicherlich mit Meister Proper blitzblank geschruppten Herd, darunter steht der sicherlich gut gefüllte Kühlschrank. Doch etwas stört den Blick. Vielleicht ist es das unregelmäßige Muster auf der rechten Gardine, das unruhige Grün der Schränke, die künstlich wirkende Pflanze oder der graue Linoleumboden, der wie bewegtes Wasser aussieht und einen ins Ungewisse gleiten lässt. Almut Heises „Küche I“ (1968) ist kein Raum, in dem man sich gerne zum Kochen und gemeinsamen Essen aufhalten würde. Zu perfekt scheint die Kulisse, zu schön der Schein. Eine Ahnung, dass sich dort etwas Unheimliches abspielt, kommt beim Betrachter auf.

Eine spannende Ambivalenz

Diese Ambivalenz ist es, die die Interieurszenen der in Hamburg lebenden Künstlerin so spannend macht: „Auf der einen Seite richtet sie das Dekor mit großer Liebe zum Detail an, spielen Muster und Farben eine große Rolle. Auf der anderen Seite strahlen ihre Bilder eine gewisse Kühle aus, man wird nicht in die Szene hineingezogen, sondern bleibt distanzierter Beobachter“, sagt Brigitte Kölle.

Die Leiterin der Sammlung „Kunst der Gegenwart“ an der Hamburger Kunsthalle, zu der das Werk seit 2002 gehört, hat Almut Heise schon einige Male in deren Atelier besucht und arbeitet gerade an einer Werkausgabe über die Künstlerin. „Ich habe selten ein Atelier gesehen, das so schön und geschmackvoll eingerichtet ist. Sie schätzt jedes einzelne Objekt darin, sie ist eine Designliebhaberin.“

Almut Heise, Küche I, 1968 für Podcast
Almut Heise, Küche I, 1968 für Podcast "Ich sehe was, was Du nicht siehst" © Hamburger Kunsthalle; Foto: Christoph Irrgang | Christoph Irrgang,Hamburg

Ihrem Stil blieb Almut Heise stets treu

Almut Heise wurde 1944 in Celle geboren. Nach einer Lehrerausbildung studierte sie in Hamburg bei den britischen Pop-Künstlern David Hockney und Allen Jones. Oft dienen Zeitschriftenfotos als Vorlage für ihre Bilder, die von Richard Hamiltons „Domestic Scenes“ inspiriert sind. Dazu die Künstlerin: „Meine Bilder sind nur insofern realistisch, als man von dem, was man sieht, glauben kann, dass es das geben könnte. Mich interessiert nicht, ob es das wirklich so gibt. (...) Ich möchte Gegenstände malen und mit Gegenständen hantieren wie andere Leute mit Farben und Formen.“ Ihrem Stil blieb Almut Heise stets treu (auch bei ihren späteren Porträts), was dazu führte, dass sie seit den 1980er-Jahren fast gänzlich in Vergessenheit geriet.

Wirtschaftlich unabhängig war sie durch ihre lange Lehrtätigkeit an der heutigen Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Erst mit dem erneuten Interesse an figürlicher Malerei kam die Künstlerin wieder verstärkt ins Blickfeld.

Werke wie "Küche I" sind hochpolitisch zu sehen

Aus heutiger Sicht sind Werke wie „Küche I“, aber auch „Fernseher“ (1969) und „Elternschlafzimmer“ (1970) sogar hochpolitisch zu sehen: „Sie entstanden zur Zeit der Studentenunruhen, des Vietnam-Krieges, der Mondlandung. Diese verunsichernde Atmosphäre führte dazu, dass die Menschen sich ins Private zurückzogen. Doch auch dort war man mit Konflikten, etwa mit der Elterngeneration, sowie verdrängter Geschichte konfrontiert. Darauf spielen Heises Arbeiten an“, so Brigitte Kölle.

Dieses und andere Werke können sie hier in der online-Sammlung der Hamburger Kunsthalle sehen