Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar “Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk Karl Schlesingers.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich viele Menschen in Europa in existenzieller Not. In Irland gab es etwa zwischen 1845 und 1849 aufgrund der bis dahin nicht bekannten Kartoffelfäule mehrere Missernten, die zu einer Hungersnot von enormem Ausmaß führten. Etwa eine Million Menschen, zwölf Prozent der irischen Bevölkerung, starben, zwei Millionen wanderten vor allem nach Amerika aus, wo sie sich ein besseres Leben erhofften.

Eine große Auswanderungsbewegung, die von wirtschaftlichen Nöten getrieben war, gab es in dieser Zeit auch in anderen europäischen Ländern, darunter in Deutschland. Hinzu kamen hier die Auswirkungen der gescheiterten Märzrevolution von 1848. Viele Barrikadenkämpfer und ihre Sympathisanten sahen sich staatlicher Verfolgung ausgesetzt und beschlossen deshalb, die Heimat zu verlassen. Ihr Ziel war neben Amerika auch Australien.

Karl Schlesinger malte Auswanderer – inspiriert von einem Zeitungsartikel?

Diesen Themenkomplex behandelt der Maler Karl Schlesinger in seinem 1851 entstandenen Bild „Auswanderer fahren an Bord“. Es zeigt eine Familie, die in einem kleinen Ruderboot sitzt und auf dem Weg zu einem großen Segelschiff ist. Wo diese Szene genau spielt, ist unklar, es handelt sich auch nicht um ein bekanntes Schiff oder um in irgendeiner Weise prominente Menschen.

Möglich, so Kunsthallen-Direktor Alexander Klar, ist, dass Schlesinger diese Szene gar nicht selbst beobachtet hat, sondern sie seiner Fantasie entspringt, angeregt etwa durch die Lektüre eines Zeitungsartikels, in dem es um Auswanderer ging, die sich auf den Weg ins Ungewisse machen.

Während die älteren Kinder aufgeregt-fröhlich erscheinen und der Junge dem wartenden Segelboot zuwinkt, ist insbesondere das Gesicht des Vaters ernst. Vielleicht blickt er auf das Leben zurück, das hinter der Familie liegt, womöglich auf ein bankrottes Geschäft, dem nun der Rücken gekehrt wird. Das wenige Gepäck jedenfalls spricht für eine Flucht aus der Armut.

Auswanderer fahren an Bord, 1851 von Karl Schlesinger.
Auswanderer fahren an Bord, 1851 von Karl Schlesinger. © Kunsthalle Hamburg | Christoph Irrgang

Schlesinger war Mitglied im Hamburger Künstlerverein von 1832

Bilder wie diese waren Mitte des 19. Jahrhunderts sehr beliebt, weil sie Alltagsrealität abbildeten, Alexander Klar vergleicht dies im Podcast mit der Arbeit von Pressefotografen, die Flüchtlingsbewegungen im Mittelmeer dokumentieren. Anzunehmen ist, dass sich Bilder wie „Auswanderer fahren an Bord“ gut verkaufen ließen.

Der Maler Karl Schlesinger wurde 1825 in Lausanne geboren. Er studierte zunächst in Hamburg Malerei bei Gerdt Hardorff und Hermann Kauffmann und wechselte 1844 an der Prager Akademie zu Christian Ruben. 1850 schloss er schließlich seine Ausbildung in Antwerpen ab. Schlesinger, als Genre- und Landschaftsmaler bekannt, war Mitglied im Hamburger Künstlerverein von 1832, er starb 1893 in Düsseldorf.

„Auswanderer fahren an Bord“ wird ab 1. Oktober im Rahmen der Ausstellung „Making History“ in der Lichtwark- Galerie der Hamburger Kunsthalle zu sehen sein.

Weitere Werke können Sie hier in der Online-Sammlung der Kunsthalle sehen.