Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar “Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: ein Werk von Sigmar Polke.

Einmal die Woche spielen Hamburgs Kunsthallen-Direktor Alexander Klar und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar mit einem Kunstwerk. Eine halbe Stunde schauen sich die beiden ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur an und reden darüber: „Ein Gespräch ist die beste Möglichkeit, Kunst zu erschließen“, sagt Alexander Klar.

Das Gemälde „Flucht Schwarz – Rot – Gold“ aus dem Jahr 1997 nimmt auf die berühmte Pressefotografie eines ostdeutschen Soldaten Bezug, der 1961 mit einem Mauersprung in den Westen floh. Der Produzent, Sigmar Polke, wurde 1941 im niederschlesischen Oels geboren. Nach Kriegsende floh seine Familie erst nach Thüringen und siedelte 1953 dann nach Düsseldorf über. Dort sollte er später zusammen mit Gerhard Richter und Konrad Lueg, wie Polke Studenten an der Kunstakademie, den Stilbegriff des Kapitalistischen Realismus prägen.

Scharfe Kritik an der aufkeimenden Konsumgesellschaft

Die Künstler spielten in ironischer Weise auf die nationalistischen Tendenzen des Sozialistischen Realismus an, der damals in der DDR aufkam. Gleichzeitig zeichneten sich Polkes Arbeiten durch eine besonders scharfe Kritik an der aufkeimenden Konsumgesellschaft der Bundesrepublik aus. Polke, der oft Motive aus der Alltagskultur und Werbung für seine Arbeit nutzte, wird daher von vielen Kritikern als deutsche Antwort auf die amerikanische Pop Art gesehen.

Für „Flucht – Schwarz – Rot – Gold“ montierte der Maler Bildelemente aus dem Foto in abstrahierter Form zu einer Kopiervorlage: die Figur im Sprung, die Häuserfassade im Hintergrund und die Stacheldrahtrolle unten. Aus einer Druckgrafik ergänzte er die zum Abschied oder zur Warnung ausgestreckten Hände. Beim Kopiervorgang erzeugte er manuell die elegante Wellenbewegung des Bildes und übertrug das Ergebnis, stark vergrößert, mittels Acrylfarben in Schwarz und Rot auf einen goldtonigen Malgrund aus Polyestergewebe.

Durch dessen transparente Oberfläche sind der Keilrahmen und die Wand dahinter zu sehen. Passend zur Ost-West-Thematik zeigt das Bild einen Durchblick, der verschlossen ist. Die reflektierende Oberfläche des Kunststoffsiegellacks erinnert zugleich an einen Fernsehschirm, auf dem historische Ereignisse an den Bundesbürgern vorbeiziehen. Mit ironischer Distanz und großer Leichtigkeit thematisiert Polke darin den Illusionscharakter der medialen Bildwelten der BRD.

Werk kam 2006 aus einer Privatsammlung zur Galerie der Gegenwart

Auch die hier erkennbare Technik der Punktraster, für die der amerikanische Künstler Roy Lichtenstein in seinen Rasterbildern berühmt wurde, bringt Sigmar Polke in die Nähe der Pop Art, ohne dass er sich darauf bewusst bezogen hätte. Für seine Gemälde, Druckgrafiken, Skulpturen und Künstlerbücher verwendete er auch unkonventionelle Materialien wie Ruß, Waschmittel und synthetische Stoffe.

Das vorliegende Werk wurde 2006 aus einer Privatsammlung für die Galerie der Gegenwart erworben. Es war ein Geschenk von Hamburger Bürgern und Freunden der Kunsthalle zum Abschied von Uwe M. Schneede in Anerkennung seiner Verdienste als Direktor der Hamburger Kunsthalle von 1991 bis 2006 und zur Begrüßung des neuen Direktors Hubertus Gaßner, der die Kunsthalle bis zum Jahr 2016 leitete.

Dieses und weitere Werke können Sie hier in der Online-Sammlung der Kunsthalle sehen.