Hamburg. Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar “Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: Ein Werk von Richard Serra.

Einmal die Woche spielen Hamburgs Kunsthallen-Direktor Alexander Klar und Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar mit einem Kunstwerk. Eine halbe Stunde schauen sich die beiden ein Gemälde, eine Fotografie oder eine Skulptur an und reden darüber: „Ein Gespräch ist die beste Möglichkeit, Kunst zu erschließen“, sagt Alexander Klar.

Kunsthallen-Direktor hätte Werk von Richard Serra gerne zu Hause

Als Alexander Klar im vergangenen Sommer als Kunsthallen-Direktor antrat, sagte er in seinem ersten Interview auf die Frage, welches Kunstwerk er gern zu Hause hätte: Am liebsten „Measurements of Time“ von Richard Serra. Die Aussage war in zweierlei Hinsicht interessant, offenbarte sie, dass der Mann Humor und – vielleicht noch wichtiger – Interesse an zeitbezogener Kunst hat (weswegen er auch umgehend für die Wiedereröffnung des eigenständigen Galerieneingangs sorgte).

Abgesehen davon, dass die knapp fünf mal zwölf Meter fassende Bleiarbeit wohl kaum durch die Tür von Klars Blankeneser Kapitänshäuschen gepasst hätte, wie würde das aussehen, wenn plötzlich eins der zentralen Werke in der Hamburger Kunsthalle fehlte? Denn als die Galerie der Gegenwart 1996 eröffnet wurde, bat man den US-amerikanischen Künstler, seine monumentale Installation in und für das neue Ausstellungshaus umzusetzen (im Archiv des Museums lagern dazu etliche Fotografien, die das spektakuläre Werken dokumentieren).

Richard Serra: „Measurements of Time, Seeing Is Believing“, 1996.
Richard Serra: „Measurements of Time, Seeing Is Believing“, 1996. © VG Bild-Kunst / Bonn Foto: Christoph Irrgang

13 Tonnen Bleischrott eingeschmolzen

Vom 11. bis 15. März 1996 arbeiteten Serra und seine Assistenten im Sockelgeschoss an einer Bodenplastik aus fünf Bleiriegeln. Dafür ließ der Künstler zuvor 13 Tonnen Bleischrott einschmelzen; dieses noch heiße Material schleuderte er dann in die Bodenkante des Raumes. Durch anschließendes Gießen, Schneiden, Schichten und Hämmern entstanden die Querriegel. Eine Technik, die als sogenanntes Splashing bekannt wurde und auch in einer New Yorker Werkserie von 1968 eine Rolle spielte.

„Measurements of Time“ war somit eine Reinszenierung dieser frühen Serie. Übersetzt heißt der Titel Zeitmessungen/Sehen ist Glauben. Was, glauben wir, in dem Kunstwerk zu sehen? Wer sich direkt vor die Arbeit stellt, könnte an eine düstere nordische Landschaft denken, mit Wellen, die an die Wand spritzen und auf den Betrachter (bedrohlich?) zurollen.

Serra interessierte Material, das Form verändert

Man könnte darin also die immer wiederkehrende Bewegung des Wassers als Sichtbarmachung verrinnender Zeit lesen. Serra aber war vor allem an der Qualität des Materials interessiert, das seine Form ständig verändert. Das schwere Blei sackt in sich zusammen, erstarrt. Ein Anblick des Verfalls, der Melancholie ist ebenso eine Deutungsmöglichkeit.

Dieses und weitere Werke können Sie hier in der Online-Sammlung der Kunsthalle sehen.