Hamburg. Lars Haider spielt mit dem Kunsthallen-Direktor “Ich sehe was, was du nicht siehst“. Heute: „Die Netzflickerinnen“

Dieses Gemälde war eine wichtige Wegmarke im Karriereverlauf von Max Liebermann, denn es war das erste Bild, das in einem Museum ausgestellt wurde. 1889, nachdem Liebermann es auf der Pariser Weltausstellung präsentiert hatte, wo es für einen seiner größten Erfolge sorgte, kaufte der Hamburger Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark es für sein Haus an.

Nach dem Vorbild französischer Impressionisten wurde Liebermann damals zu einem Pionier der modernen Malerei. Er malte seine Gegenwart, wie er sie sah: klar, lebendig, ungekünstelt. Diese Darstellung einer rustikalen Arbeitswelt zeigt eine Szene, die schon fast zu riechen scheint: nach viel Wind und viel Wetter. Nach dem nahen Meer. Und dazu mischt sich das fischige Rest-Aroma der wieder und wieder zu flickenden Netze, die diese Frauen ausgebreitet haben, während heftige Böen ihre Kleidung zerzausen und es zu laut sein dürfte für Gespräche. Liebermann hat Eindrücke eines Sommeraufenthalts in den Niederlanden 1887 festgehalten; er griff damit ein Genre-Thema auf, von dem ihm einige Jahre zuvor ein holländischer Maler und Freund berichtet hatte.

Die Frau blickt vermutlich Richtung Nordsee

Erstaunlich und zugleich unaufdringlich arrangiert ist die Anordnung der Arbeiterinnen. Sie sind Blickfänge in den Perspektivlinien unter dem tiefhängenden Himmel. Sie geben dem weiten, nahezu leeren Panorama seine Dynamik, der Bildausschnitt lässt erkennen, dass diese Ebene weit ist. Eine Dorfsilhouette am Horizont hat Liebermann übermalt, so verstärkt sich der einsame Eindruck dieser Frauen noch. Eine von ihnen blickt als Hauptperson in eine Ferne, die die Nordsee sein dürfte.

Sie blickt also auf jenen Teil ihrer Welt, der unberechenbar ist und verantwortlich ist für das Überleben aller hier. Während die Männer sich auf See befinden, fürchten ihre Frauen um sie, bis jeder einzelne von ihnen zurück an Land ist. Liebermann zeigt den stoischen Stolz der Netzflickerinnen, er zeigt auch, wie hart diese Hand-Arbeit ist. Und alle fügen sich in ihr Schicksal. Und so stürmisch der Himmel auch ist, die Farbigkeit der Landschaft hat doch etwas Beruhigendes, denn es sind keine harten Brauns und Grüns, sondern besänftigende, ruhige Natur-Töne.

Liebermanns Werke wurden als „Schmutzmalerei“ verunglimpft

Liebermann-Bilder wie dieses, das eines seiner Hauptwerke jener Jahre ist, wurden im späten 19. Jahrhundert zunächst noch als „Schmutzmalerei“ verunglimpft und er selbst als „Apostel der Hässlichkeit“, als „Sozialist“ und „Dreckmaler“. Arbeiten wie diese zeigten angeblich nur „Unwesentliches“. Sie waren so ganz anders als die eingängigen und beliebten Schlachtenszenen, die wohlfeilen Heldendarstellungen und die gesitteten Bibeldarstellungen, mit denen man sich umgab und sich gegenseitig seines guten, gutbürgerlichen Geschmacks versicherte. Das Verfertigen solcher Historienschinken überließ Liebermann anderen. Doch diese „Netzflickerinnen“, malte er, vielleicht als Zeichen seines Selbstbewusstseins, als Sozialstudie im Großformat der Traditionalisten.

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