Hamburg. Lars Haider und Kunsthallen-Direktor Alexander Klar sprechen über Nan Goldins Diashow „The Ballad of Sexual Dependency“.

Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spielt mit Kunsthallen-Direktor Alexander Klar „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – und zwar anhand berühmter Bilder. Diesmal geht es um „The Ballad of Sexual Dependency" von Nan Goldins. Ein Foto, mit einem doppelten Mann, der etwas von James Dean hat, einer Frau, die gerade erschöpft von der Arbeit gekommen sein muss – und mit einer klaren Aussage: „So geht es mit uns nicht weiter.“ Klar und Haider entdecken nicht nur viele überraschende Details („eine Maske“!), sondern finden sich auch selbst in dem Bild wieder. Allerdings jeder auf seine Weise …

Nan Goldins Diashow umfasst 720 Fotografien

Eine Frau liegt auf einem Bett. Sie blickt den neben ihr sitzenden Mann fast misstrauisch an. Er raucht eine Zigarette (danach?). Das Foto ist Teil von Nan Goldins Diashow „The Ballade of Sexual Dependency“ (1992). Sie umfasst 720 Fotografien aus dem persönlichen Umfeld der Fotografin, die 1953 in Washington D. C. geboren wurde und schon als Teenager stets ihre Kamera bei sich trug. In den Jahren zwischen 1980 und 1986 waren es Freunde und Bekannte, die sie in einer Ästhetik aus Schnappschuss und sorgfältiger Inszenierung ablichtete.

Vor allem die New Yorker Subkultur, in die Lesben und Schwule, Bi- und Transsexuelle eintauchten, faszinierte Nan Goldin: schäbige Motelzimmer, verrauchte Clubs, am Strand, im Auto, allein oder zu zweit. Vor der Kamera agieren Frauen und Männer, die um Selbstbestimmung ringend die bürgerlichen Bahnen verlassen haben. Im Überblendverfahren gehen die Geschichten ineinander über; es entsteht ein intimes filmisches Panorama, das Goldin mit ihrer Lieblingsmusik unterlegt.

Titel ist Brechts Theaterstück „Die Dreigroschenoper“ entnommen

Die klassischen Melodien und bekannten Popsongs verstärken die Atmosphäre und ziehen den Betrachter in den Bilderstrom hinein. „Die Diashow ist wirklich mein Leben. Ich wollte Filme machen. Das war immer mein Ziel“, so die Fotokünstlerin. Gezeigt wurde ihr Werk erstmals 1985 auf der Biennale des New Yorker Whitney Museums of American Art. 1995 erwarb die Hamburger Kunsthalle den 45 Minuten dauernden Film; dort ist er in der Sammlung der Galerie der Gegenwart beheimatet.

Der Titel „The Ballad of Sexual Dependency“ ist Bertolt Brechts Theaterstück „Die Dreigroschenoper“ entnommen. In der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ wird der Aspekt der Abhängigkeit und der Zwanghaftigkeit aufgegriffen. Sexualität ist auf der einen Seite verführerisch – auch schon bei Brecht –, auf der anderen Seite, im Zeitalter von Aids, aber ist sie mit Verlust und Tod verbunden, begleitet von Gefühlen der Angst und Ohnmacht.

Nan Goldin thematisiert in ihrer Arbeit das Kräfteverhältnis von Autonomie und Abhängigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ihr Blick ist dabei nie voyeuristisch, vielmehr ist sie an der Situation beteiligt. „The Ballad“ ist das visuelle Tagebuch dieser großen Fotografin.