Hamburg. In den vergangenen zwölf Monaten gab es einiges beim Club aus dem Volkspark zu besprechen. Ein etwas anderer Rückblick.

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Ein Kalenderjahr kann man auf verschiedene Arten und Weisen unterteilen. 365 Tage, natürlich. Zwölf Monate, 52 Wochen. Im Fußball kann man auch 34 Spiele als Maßstab heranziehen. Beim HSV gab es früher zudem die Möglichkeit, das Jahr an Trainern (oder Sportchefs) zu erzählen. 2018 waren es alleine vier Fußballlehrer. Und dann gibt es da auch noch die „HSV – wir müssen reden“-Einheiten. 39. So viele Podcasts hatte das Abendblatt im Jahr 2022 über den HSV produziert. Und auch bei Nummer 40/2022 gilt: Ausführlich reden und fachsimpeln kann man nie genug über den HSV.

Das wurde beim Abendblatt natürlich auch schon 2021. Auf den Tag vor einem Jahr haben wir schon einmal auf ein Jahr zurück- und auf ein Jahr vorausgeschaut. Damals waren wir in unserem Fazit-Podcast überrascht, dass es vereinpolitisch so ruhig war und dass es keine öffentlich ausgetragenen Querelen gab. So konnte man es am 28. Dezember 2021 morgens im Podcast hören – ehe abends am selben Tag der HSV implodierte.

Wüstefeld ist HSV-Persönlichkeit des Jahres

Auf einer legendären Aufsichtsratssitzung wurde die sofortige Trennung von Finanzvorstand Frank Wettstein besiegelt und die angedachte Nachfolgelösung mit Eric Huwer, der bereits seinen Vertrag ausgehandelt hatte, wieder verworfen. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Wüstefeld entschied, sich lieber selbst in den Vorstand zu entsenden und somit in 2022 für eines der spannendsten HSV-Jahre überhaupt zu sorgen.

Ungewollt wurde Wüstefeld in den vergangenen zwölf Monaten zur HSV-Persönlichkeit des Jahres. Erst der rasante Aufstieg – dann der tiefe Fall. Und zwischendurch Machtkämpfe, Unregelmäßigkeiten, Indiskretionen, Anzeigen, Fragen rund um seine Titel und viel Unterhaltung, auf die man beim HSV aber gern verzichtet hätte.

Stürzt auch Jansen über die Causa Wüstefeld?

Unterhaltsam war auch der Podcast mit Ex-HSV-Funktionär Frank Mackerodt, der bereits im August als Konsequenz aus dem Wüstefeld-Theater gefordert hatte, dass der Aufsichtsrat geschlossen zurücktreten müsste. „Das Beste wäre ein kompletter Neuanfang. Für mich wäre es logisch, wenn der komplette Aufsichtsrat geht – am besten freiwillig“, sagte Mackerodt in einem der am meisten gehörten Podcasts. Auch Aufsichtsratschef Marcell Jansen kam bi Mackerodts Generalabrechnung nicht gut bei weg: „Einer kauft sich Anteile, ist ein Freund von Marcell Jansen und sitzt plötzlich im Vorstand“, kritisierte der frühere Beirat und Aufsichtsrat.

Mackerodts Wunsch Nummer eins, dass vor allem Wüstefeld als Vorstand zurücktreten müsse, ging einen guten Monat später in Erfüllung. Nach einer Reihe von Enthüllungen im Abendblatt und im „Spiegel“ entschied sich Wüstefeld am 28. September, sein Interimsamt wieder abzugeben. Mackerodts Wunsch Nummer zwei, dass auch Kontrollchef Jansen die Konsequenzen zieht, ist allerdings noch nicht in Erfüllung gegangen. Auf der Mitgliederversammlung am 21. Januar gibt es einen Abwahlantrag – dann entscheiden die Mitglieder über Jansen.

Tim Walter vor Verlängerung beim HSV

Während es vereinspolitisch beim HSV im Jahr 2022 drunter und drüber ging, war es sportlich eher ruhig. Erstmals seit 2017, als Markus Gisdol das ganze Jahr durchhielt, war mit Tim Walter wieder mal nur ein Trainer für ein komplettes HSV-Kalenderjahr zuständig. Zwar wurde unter Walter im Sommer der Aufstieg knapp in der Relegation gegen Hertha BSC verpasst, aber der HSV entwickelte sich zur besten Zweitligamannschaft 2022.

Die Walter-Mannschaft holte 64 Punkte und damit drei mehr als Darmstadt. Allerdings zeigt auch das Beispiel vom Stadtrivalen St. Pauli, das die Jahrestabelle nur bedingt Aussagekraft hat. 2021 waren die Kiezkicker mit beeindruckenden 75 Punkten Erster, stiegen im Sommer aber auch nicht auf und sind in diesem Kalenderjahr mit nur 38 Punkten, also mit halb so vielen, lediglich 11.

Die Belohnung für Walter soll bereits in Kürze folgen. Der im Sommer auslaufende Vertrag soll um zwei Jahre verlängert werden. Sollte der 47-Jährige diese Zeit im Amt durchstehen, wäre er der erste Fußballlehrer nach Frank Pagelsdorf (1997 bis 2001), der vier komplette Spielzeiten beim HSV überlebt hat.

Vuskovic-Aus ist persönlich und finanziell dramatisch

Eine wichtige Voraussetzung für dieses ambitionierte Ziel dürfte der Aufstieg im kommenden Sommer sein. Und dieser ist nicht unbedingt einfacher geworden durch die Ereignisse rund um das letzte Vorrundenspiel. Denn beim 4:2-Sieg gegen den SV Sandhausen fehlte Innenverteidiger Mario Vuskovic. „Aus privaten Gründen“, hieß es damals. Die genauen Gründe erfuhr das Abendblatt noch vor dem Ende des Heimspiels: Vuskovic war positiv auf das Dopingmittel Epo getestet worden.

Ermittler stellten am Vortag des letzten Heimspiels die Kabine und die Wohnung des Kroaten auf den Kopf, der DFB sperrte Vuskovic zunächst vorübergehend und wenig später, nach der Bestätigung der B-Probe, endgültig. Nun ist nur noch offen, wie lange der 20-Jährige gesperrt bleibt. Nur wenn Vuskovic und seine fünf Anwälte beweisen können, dass er nicht vorsätzlich gedopt hat, wäre eine Abmilderung der üblichen Vier-Jahres-Sperre denkbar.

Für den kroatischen U21-Nationalspieler hätte das Jahr 2022 nicht schlimmer zu Ende gehen können. Ihm droht im schlimmsten Fall sogar das Ende seiner Karriere, die doch gerade erst so richtig beginnen sollte. Doch auch für den HSV sind die Folgen dramatisch. Ein finanzieller Totalschaden ist im Falle des teuersten HSV-Zweitligazugangs kaum noch abzuwenden. Doch darüber hinaus muss Claus Costa, der in den nächsten Tagen vom Chefscout zum Kaderplaner befördert werden soll, auch noch sportlichen Ersatz für den Unersetzbaren finden.

Uns Uwe geht jetzt im Himmel auf Torjagd

Die traurigste HSV-Nachricht des Jahres war aber trotzdem eine ganz andere: Uns Uwe sagte tschüs, ein letztes Mal. Der Ehrenbürger der Hansestadt starb am 21. Juli und hinterließ eine Lücke, die beim HSV, in Hamburg, in Deutschland und auch in der ganzen Fußballwelt keiner schließen kann. Vier Tage nach Uwes letzten Reise war Seeler-Freund Reinhold Beckmann in der Abendblatt-Redaktion und verabschiedete sich via Podcast.

„Uwe steht als Gegenentwurf zu den Posterboys von heute“, sagte der Filmemacher, der vor allem Seelers Bescheidenheit hervorhob. Schon als Kind habe er für „den Dicken“ geschwärt. Ganz genau erinnerte sich Beckmann noch an einen Autogrammwunsch: „Ich schrieb auf den Brief einfach: Uwe Seeler, Hamburg, Nationalspieler. Eine Woche später kam der Brief zurück mit zwei unterschriebenen Autogrammkarten. Das war für uns auf dem Dorf wie Weihnachten.“

Nun musste die HSV-Familie erstmals ein Weihnachtsfest ohne Uwe Seeler feiern – und dabei hoffen, dass Seelers größter Wunsch posthum im kommenden Sommer in Erfüllung geht: der Aufstieg nach fünf langen und schwierigen Jahren in der Zweiten Liga.

Wie geht es beim HSV weiter?

Ob das wirklich gelingt, steht allerdings noch in den Sternen. Klar ist aber schon jetzt, dass auch das HSV-Jahr 2023 jede Menge zu bieten haben wird. Bereits am 2. Januar startet der HSV ins Training, am 11. Januar reist die Mannschaft ins Trainingslager nach Sotogrande.

Auch vereinspolitisch bleibt es spannend. Am 21. Januar folgt die Mitgliederversammlung, die darüber Auskunft geben wird, ob Präsident Marcell Jansen bleiben darf – oder nicht. Sicher ist bis dahin nur eines: Auch im kommenden Jahr muss man weiter über den HSV reden. In diesem Sinne: Auf Wiederhören in 2023!