Hamburg. Zweitligaexperte Peter Neururer erklärt im Podcast, warum er den Toptorjäger einst aussortierte und der HSV diesmal aufsteigt.

Wer die Wucht eines 1:5 auf der Anzeigetafel unterschätzt, der wurde in den vergangenen Tagen eines Besseren belehrt. Tatsächlich hatte Borussia Dortmund am Sonnabend 1:5 gegen den VfB Stuttgart verloren! E-i-n-s zu f-ü-n-f! 21 Stunden später war Lucien Favre, der zweiterfolgreichste Trainer der BVB-Geschichte, entlassen.

Und auch das Eins-zu-fünf des HSV gegen den SV Sandhausen, das vor exakt 170 Tagen auf der elektronischen Anzeigetafel im Volksparkstadion flimmerte, bekam natürlich ein eigenes Kapitel in dem schier unendlichen Buch der „Nur der HSV“-Geschichten.

Ein knappes halbes Jahr später sitzt Peter Neururer in seinem Arbeitszimmer in seinem Haus in Gelsenkirchen-Buer und schüttelt sekundenlang den Kopf. „Ein 1:5 ist unerklärbar“, sagt ausgerechnet derjenige, der so eine Art Chef- und Alles-Erklärer der Zweiten Liga ist.

Neururer hoffte auf Anruf des HSV

Der 65 Jahre alte Fußballlehrer stand bei 321 Zweitligaspielen als Chefcoach an der Seitenlinie, er trainierte sage und schreibe zehn Zweitligaclubs – doch für dieses 1:5 des HSV vom 28. Juni dieses Jahres gegen Sandhausen findet auch er im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ keine Worte. „Ich konnte dieses Ergebnis damals gar nicht fassen.“

Ähnlich erging es seinerzeit auch den HSV-Entscheidern, die sich noch am gleichen Abend auf mehrere Frustbiere trafen. Sportdirektor Michael Mutzel, Chefscout Claus Costa und Sportvorstand Jonas Boldt waren sich nach einigen Kaltgetränken und ebenso vielen kontroversen Gesprächen einig, dass man am Ursprungsplan, auch im Falle des Nicht-Aufstiegs mit Dieter Hecking in die neue Saison zu gehen, nicht mehr festhalten konnte.

Das Ende dieser „Nur der HSV“-Geschichte ist bekannt: Obwohl Peter Neururer mit einem Augenzwinkern berichtet, immer mal wieder von einem HSV-Anruf geträumt zu haben („In Krisensituationen hatte ich immer mal wieder die Hoffnung, dass der HSV mich vielleicht mal anspricht. Aber irgendwie hat es nie geklappt“), entschied man sich für Trainer Daniel Thioune, der an diesem Dienstagabend (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei Abendblatt.de) erneut auf den SV Sandhausen trifft. Auch Klaus Gjasula ist trotz eines Nasenbruchs mit Maske einsatzfähig.

Wie Neururer Terodde aussortierte und zurückholte

Fast gleichzeitig zu Neururers Zoom-Gespräch mit dem Abendblatt sitzt Thioune im Presseraum des Volksparkstadions und spricht – ebenfalls per Zoom-Schalte – über diesen „furchtbaren letzten Spieltag“, der ein „ganz mieser Tag für die Mannschaft“ gewesen sei. Angst davor, dass die Gladiatoren von heute sich während des Wiedersehens zu sehr an das Gestern erinnern, hat er aber nicht: „Wir haben Winter, eine neue Saison, einen neuen Trainer und nicht mehr die elf Spieler aus dem letzten Aufeinandertreffen“.

Immerhin sechs Spieler, die auch an diesem Abend in der Startelf stehen könnten, haben die Erinnerungen an das 1:5, die Anzeigetafel und den Nicht-Aufstieg allerdings noch im Hinterkopf. Einerseits. Andererseits steht diesmal einer auf dem Platz, der vor einem halben Jahr noch nicht dabei war, und der laut Neururer allein den Unterschied machen kann: Torjäger Simon Terodde.

„Ich könnte gleich drei Bücher über Simon Terodde schreiben“, sagt Neururer, der den Stürmer seit elf Jahren wie kaum ein anderer kennt. Buch Nummer eins: die Aussortierung. „In Duisburg musste Simon einen Trainer kennenlernen, der leider konsequent war und der ihm sagte, dass er unter ihm nicht spielen wird.“ Der Hintergrund: Beim MSV musste Neururer 2009 als neuer Trainer vier Spieler aussortieren – und entschied sich seinerzeit gegen den talentierten, aber eben noch nicht fertigen Terodde. „Simon war total enttäuscht von mir.“

HSV für Neururer Aufstiegsfavorit Nummer eins

Doch es folgte Buch Nummer zwei: die Verpflichtung. Denn fünf Jahre später, mittlerweile beim VfL Bochum, war Neururer auf der Suche nach einem Stürmer und erinnerte sich an den einst unfertigen, aber mittlerweile erprobten Torjäger. „Ich hatte Magenschmerzen, den Simon anzurufen, obwohl ich total von ihm überzeugt war. Ich wusste ja nicht, wie er das Jahre später aufnehmen würde, dass ich ihn mal weggeschickt hatte“, sagt Neururer, dessen Gespräch mit Terodde aber keine Zweifel übrig ließ. Der Angreifer ging nach Bochum, wurde Torschützenkönig und hielt auch nach seinem und Neururers Abschied vom VfL mit dem Trainer Kontakt.

Aus dieser Zeit würde Buch Nummer drei folgen: der Toptorjäger. „Wir tauschen uns seitdem regelmäßig aus“, sagt Neururer, der von Teroddes Entwicklung begeistert ist: „Simon ist ein herausragender Typ. Er hat Qualitäten, die in Deutschland wenige Stürmer haben.“

Unter dem Strich sei dieser „herausragende Typ“, der auch beim 2:1 in Darmstadt doppelt traf, laut Neururer der Hauptgrund, warum dem HSV zum einen ein Sandhausen-Revival-Debakel erspart bleibt – und warum die Hamburger trotz der aktuellen Schwächephase diesmal tatsächlich aufsteigen werden. „Der HSV ist meilenweit vom richtigen Fußball entfernt“, sagt zwar Neururer, aber: „Der HSV wird trotzdem aufsteigen.“ Weil die Mannschaft stark genug sei, weil die anderen Mannschaften nicht ganz so stark wie im vergangenen Jahr seien – und, weil der HSV Terodde hat.

„Dank Simon ist der HSV Favorit Nummer eins“, sagt der einstige Terodde-Aussortierer, der trotz des Toptorjägers vor den einstigen 5:1-Siegern warnt. „Sandhausen ist in jedem Jahr Abstiegskandidat, steigt aber nie ab. Der Club hat gute und feste Strukturen“, sagt Neururer anerkennend. „Die spielen einen Fußball, den sie vielleicht nicht möchten, aber können. Klare, einfache Sachen.“

Was Neururer im Podcast noch verriet

Sandhausen dürfe nur nicht den Fehler machen, mitspielen zu wollen. „Dann wird die Anzeigetafel flimmern“, sagt Neururer. Sein Tipp: 3:0 – und ein frohes HSV-Fest.

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Doch natürlich sprach Neururer im Podcast nicht nur über den HSV und die Lage der Liga. Er verriet auch, welche Überraschung er im Bademantel in der eigenen Garage erlebte, warum seine Ehefrau Antje ihm noch heute die Brötchen schmiert und wie es ist, wenn das Leben von einen auf den anderen Moment an einem vorbeizieht.

Überrascht wurde Neururer unter anderem von den „Special guests“ Klaus Fischer, Jan Gyamerah, Frank „Funny“ Heinemann und Ralf „Katze“ Zumdick. Außerdem verriet Neururer, warum er eigentlich immer gerne zum HSV wollte.