Hamburg. Der Musiker, Romanautor und Intendant einer Mozartwoche in Salzburg bietet viel Gesprächsstoff für den Podcast “Erstklassisch“.

Dieses Gesicht, die sehr lebendigen Augenbrauen, diese Locken, diese Brille – fast alles hin und wieder kaum noch zu sehen auf dem Laptop-Monitor, weil das Gegenüber so gern in Stereo von sich erzählt, nicht nur mit gesprochenen Worten, sondern auch mit pausenlosen, beidhändigen Gesten. Wäre da nicht diese Stimme und das Tempo, beides typische Erkennungsmerkmale von Rolando Villazón, der immer so viele Dinge machen und erleben möchte, dass er unentwegt im höchsten Gang unterwegs ist.

Gerade eine neue CD mit lateinamerikanischen Liedern und Harfen-Begleitung durch Xavier de Maistre, kürzlich der inzwischen schon dritte Roman, am Horizont die Herausforderung, als Intendant eine Mozartwoche in Salzburg auf die Bühnen stellen zu wollen. Das Gespräch fand bereits vor dem aktuellen Lockdown statt.

Hamburger Abendblatt: Das Einfachste zum Start: Was ist Glück in Ihrem Job? Rolando Villazón: (lacht) Glück ist: Musik zu machen mit anderen Musikern und Kollegen, für die Leute, und eine Beziehung mit dem Werk zu haben. Es ist auch ein Dialog mit dem Komponisten, durch die Musik.

Rolando Villazón: Dann eine schwere Frage: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Schwer zu sagen. Ehrlich gesagt, ich denke nicht daran, was in zehn Jahren kommt, sondern daran, was ist. Was jetzt passiert.

Trotzdem und bevor wir sehr philosophisch werden: Was passiert denn jetzt mit uns? Man kann kaum planen, man darf kaum planen? Wie empfinden Sie das?

Villazón: Ein kleines Virus kam, und wir dachten, all unsere Strukturen sind fest und wir können ihnen vertrauen. Es zeigte uns: Das ist nicht so. Wir finden uns da, wo sich Clowns jederzeit finden: In einer Welt, die man nicht wirklich versteht. Elemente, die so oder so reagieren sollten, reagieren anders. Es ist ein bisschen ungewöhnlich, manchmal etwas lächerlich. Wir müssen flexibel sein und uns anpassen, neue Wege finden. Für die Leute ist sehr schwierig zu verstehen, dass Kunst kein Luxus ist. Dass man sie braucht, dass sie ein Teil dessen ist, was wir sind. Das haben wir im Lockdown gesehen, als Bücher, Filme, Videos genutzt wurden. All das ist ein Teil von uns, wir brauchen das. Und trotzdem ist Kultur in der Reihe der Prioritäten auf dem letzten Platz. Nach der Krise werden wir uns in einer neuen kulturellen Welt finden, wie das sein wird, wissen wir noch nicht. Es ist schon sehr dramatisch.

Haben Sie momentan mehr Angst oder mehr Vertrauen?

Villazón: Angst habe ich nicht, Vertrauen auch nicht... Ich glaube, ich sehe die Dinge, wie sie sind. Als Intendant der Salzburger Mozartwoche habe ich auch die wunderbare künstlerische Verantwortung, für jedes Konzert, jeden Künstler, jedes Orchester zu kämpfen. Natürlich mache ich das mit voller Energie, aber ich muss auch sehr objektiv sein. Wir hoffen, dass es besser wird? Nein, nein, hoffen nicht. Das ist jetzt unsere Realität, mit der müssen wir arbeiten, voller Freude und mit den richtigen Argumenten.

Erklären Sie mir, der ja immer auf der anderen Seite sitzt, wie es sich anfühlt, wenn ein Abend auf der Bühne rundum funktioniert und man das Publikum sicher hat. Macht das Angst, kommt eine Allmachtsphantasie, ist das das komplette Glück? Man möchte dann wahrscheinlich nicht mehr unter von der Bühne.

Villazón: Wir haben eine Verantwortung als Sänger, diese Musik und diese Emotionen zu den Leuten zu bringen. Es kann ein sehr schöner Moment sein, wenn man plötzlich alles vergisst und man spürt die Energie vom Publikum; man spürt, dass alle in einer Welle sind, die kommt rein und das ist wunderbar. Es ist aber keine Party. Wir haben eine Verantwortung. Heute bin ich gut, aber: Kann ich mehr piano machen, mehr von dieser Farbe? Kann ich stärker, länger auf der hohen Note bleiben - ist es gut, länger auf der hohen Note zu bleiben? All das sind Dinge, die in Sekunden passieren. Man muss ständig Entscheidungen fällen. Und am besten ist, wenn es eine Struktur gibt, die dem Publikum erlaubt, Gefühle zu haben. Freude, Traurigkeit, das Humboldt-Forum hofft auf 10.000 Besucher pro Tag Wegen der Corona-Pandemie konnte zunächst nur digital eröffnet werden „Rekorde interessieren mich nicht“ Tenor Rolando Villazón über Lampenfieber, seinen Umgang mit Buhs, Anna Netrebko und seine Schriftstellerei Vergessen von Zeit und wo wir sind, all das soll dem Publikum passieren, nicht den Künstlern. Es ist kein gutes Zeichen, wenn ein Künstler nach einer Arie weint. Es könnte sein, dass uns etwas berührt, was ein Kollege macht und das kann auch schön sein. Aber: besser, wenn nicht. Alle Elemente sind in einem Rahmen, darin musst Du bleiben. Unser Beruf ist, den Kontakt mit einem unsterblichen Werk herzustellen und das mit unserer Individualität zu den Menschen zu bringen.

Es gibt zwei ganz schlimme Krankheiten, die man als Bühnenkünstler haben kann: Lampenfieber und die Sucht nach Applaus. Was, glauben Sie, ist bei Ihnen schlimmer?

Villazón: Sucht nach Applaus war nie ein Problem für mich. Ich bin jemand, der immer glücklich ist, wenn das ganze Ensemble Applaus bekommt. Wenn ich Regisseur bin und es gibt Buhs, komme ich raus und nehme die allein. Lampenfieber gibt es, wenn Du Dich nicht gut fühlst, das ist schrecklich. Aber wenn Du Dich gut fühlst, ist das kein Lampenfieber. Dann ist man etwas nervös. Diese Nervosität erwarte ich, die bringt Feuer auf der Bühne. Lampenfieber ist: Ich möchte nicht da sein, ich möchte heute nicht singen. Jeder Künstler hat solche Momente.

Weil das Wort ‚Buhs‘ fiel: Wir haben in gewisser Weise ähnliche Berufe, wir beschäftigen uns beide damit, wie Kunst zum Publikum kommt. Bislang zumindest wurde ich noch nicht ausgebuht. Wie ist das für jemanden, nachdem er wochenlang geprobt hat, Premiere, raus auf die Bühne und dann kommt einem dieses Geräusch entgegen? Werden Sie schnell damit fertig, hören das vielleicht gar nicht?

Villazón: Als Sänger habe ich nicht große Buhs erlebt…

Aber auch kleine können weh tun…

Villazón: Manchmal, wenn man eine Vorstellung für fantastisch hielt, kommt man danach raus und zwei, drei buhen laut. Das ist eher eine Überraschung. Ich lache. Ihr findet das nicht gut? Tut mir leid. Als Sänger habe ich nie große Buhs gehört, ich denke, das würde weh tun. Als Sänger bist Du verletzlicher. Als Regisseur weißt Du, was Du erschaffen hast - oder nicht. Du nimmst, was es gibt, bist entweder glücklich oder ein bisschen enttäuscht. Mir ist es in einer „Fledermaus“ in der Deutschen Oper passiert: Ich bin rausgegangen, die meisten haben ,Bravo‘ gerufen, aber viele, viele ,Buh‘. Es war sehr interessant, und ich habe verstanden, warum. Die traditionelle ,Fledermaus‘ habe ich ihnen nicht gegeben, und die, die das erwartet hatten, waren böse. Ich fand das fantastisch, den Kampf zwischen Bravos und Buhs habe ich sehr genossen. Diese Energie und diese Passion ist stark, die nehme ich und die respektiere ich.

Mir kommt es wegen Ihrer vielen Rollen und Funktionen so vor, als wären Sie in einer Art Zwischenphase. Den Tenor gibt es schon noch, aber auch einen halben Bariton. Bei einer „Zauberflöte“-Einspielung haben Sie den Papageno gesungen, das ist eindeutig kein Tenor, sondern ein Bariton. Wo geht diese Reise hin?

Villazón: So wie ich das sehe, war der erste, der den Papageno gesungen hat, kein Bariton, das war ein Schauspieler. Mozart hat für Schikaneder diesen Papageno geschrieben. Ich habe nie den Tamino gesungen und ich wollte ihn in dieser Aufnahme-Serie nicht singen. Dann kam die Frage, ob ich nicht diese Rolle singen möchte. Es war für einen Schauspieler geschrieben und passt in diesem Sinne perfekt zu dem, was ich liebe, wer ich bin und auf der Bühne sein kann. Ich werde in der Metropolitan Opera den Papageno singen – aber das heißt nicht, dass ich nun Bariton-Rollen singe. Ich singe Tenor-Repertoire, für das ich mich entscheide. Es gibt keine Rigolettos, nichts davon. Ich habe ja auch Pellèas gesungen…

Letztes Jahr hier in Hamburg, eine sehr interessante Inszenierung. Auch so eine Zwischenrolle, auch da sind Sie zwischen den Stühlen. Der strahlende Tenor von früher, der ist jetzt so nicht mehr da. Dafür ist jemand anderes da. Fühlt sich das wie ein Verlust an? Wie Reifung? Wie ein Glück?

Villazón: Der Tenor ist da. Punkt. Der Künstler ist da. Für mich zählt: Was möchte ich heute, jetzt singen, was mich und mein Publikum glücklich macht und wo ich mein Instrument in bester Form den Leuten und besonders dem Werk geben kann? Dieses Jahr im November sind es 25 Jahre Karriere. Ich denke nicht an das, was ich nicht singe. Es gibt Sachen, die ich singen kann, aber aus verschiedenen Gründen nicht mehr singen möchte! Ich singe, was ich jetzt singen möchte, immer mit derselben Freude, derselben Energie, derselben Liebe, derselben Hingabe!

Auch wenn die Frage so klingt, als würde ich nach dem Lieblingskind fragen: Was macht am glücklichsten? Singen, Intendant sein, Schreiben?

Villazón: Alles ist wichtig. Ich bin ein Sänger, der Bücher schreibt; ein Sänger, der inszeniert; ein Sänger, der künstlerischer Leiter ist; ein Sänger, der Radio-Sendungen macht… Als Basis bin ich Sänger. Alle diese Berufe haben etwas gemeinsam: eine Struktur. Und in diesen Strukturen gibt es Spontanität und Flexibilität.

Haben Sie Kontakt zu Anna Netrebko, mit der Sie gemeinsam als Opern-Traumpaar berühmt wurden? Gibt es Ideen, wie bei den „Blues Brothers“, nach dem Motto: Wir bringen die Band wieder zusammen? Oder ist dieses Kapitel Vergangenheit und abgeschlossen?

Villazón: Anna ist eine der besten Sopranistinnen aller Zeiten, wenn nicht die beste. Vieles von dem, was wir zusammen gemacht haben, zählt zu den schönsten Dingen, die ich auf einer Bühne gemacht habe. Ja, wir treffen uns und trinken gern Kaffee und wir wissen, wo wir sind, was wir tun. Gerade erst hatten wir eine Zoom-Schalte. Was schön bei diesem Abenteuer war: Es ist spontan passiert. Alles in meiner Karriere ist so passiert; ich versuche nicht, einen PR-Moment zu finden oder zu machen. Wir feiern jetzt 15 Jahre dieser unglaublichen „Traviata“. Also: Gibt es die Möglichkeit, dass wir etwas finden, das wir machen? Ja. Aber erst müssen wir etwas finden, das passt. Wenn es ein Projekt gibt: mit großer Freude. Wenn nicht, ist auch das okay.

Steckt in Ihnen womöglich auch noch ein Maler?

Villazón: Ein Maler? Nein! Ich zeichne gern Doodles. Nein… Das ist wie mit der Frage, ob ich gern Dirigent sein möchte. Nein…

Nein?

Villazón: Natürlich nicht. Ich habe nicht, was man braucht, um Dirigent zu sein. Ich müsste zehn Jahre lernen und es dann mit einem Orchester versuchen. Dafür habe ich nicht genügend Zeit. Ich liebe meine Doodles; ich weiß, was ich gut kann. Und ich weiß, was ich nicht kann. Die Leute lieben es, mit mir als Regisseur zu arbeiten, weil sie wissen: Da ist ein echter Regisseur. Sie lieben es, mit mir als Sänger zu arbeiten und lieben mich als Intendant. Künstler lieben die Mozartwoche, sie sehen, wie gut das gemacht ist… Ich erhalte Respekt als Schriftsteller. Ich würde auch weiter Bücher schreiben, wenn sie niemand herausbringt. Ich liebe, liebe, liebe das Schreiben. Wenn es Publikum gibt, freue ich mich. Wenn nicht, mache ich es für mich selbst. Einen Rekord zu brechen, interessiert mich nicht.

Aktuelle CD: Rolando Villazón / Xavier de Maistre „Serenata Latina“ (DG, ca. 16 Euro), Roman: „Amadeus auf dem Fahrrad“ (Rowohlt, 416 S., 26 Euro)