Hamburg. Der Sänger hätte eigentlich bei den Wagner-Festspielen gesungen. Dennoch: Der Heldentenor blickt optimistisch in die Zukunft.

Wenn Parsifal oder Siegfried, dann ist Andreas Schager eine erste Wahl. Und wenn frischer Wagner mit ihm in diesem Sommer, dann in Bayreuth, beim neuen „Ring“, in dem der Heldentor aus Österreich die Partie des furchtlosen Drachentöters gesungen hätte. Hätte. Wir sind kurz vor dem 25. Juli, dem traditionellen Start-Datum dieser Festspiele. Aber: von wegen. Corona. Kein Bayreuth. Erst recht kein neuer „Ring“. Und auch sonst fast nichts im Kalender des weltweit auf Wagner abonnierten Sängers, und frustrierend wenig am Horizont. „Es war von 100 auf null, sofort.“

Hamburger Abendblatt: Als wir uns für dieses Telefonat verabredeten, waren Sie gerade auf dem Weg nach Genf, zu einem „Parsifal“. Die ganze Oper etwa? War das da erlaubt?

Andreas Schager: Nein, das war das erste Wagner-Konzert überhaupt, das dort mit großem Orchester in der Oper gegeben wurde, wir haben unter anderem Ausschnitte aus dem dritten Akt gebracht. Ich hatte vorher schon ein paar Kleinigkeiten: in Wiesbaden Auszüge aus dem „Tristan“, nur mit Klavier und mit einer Geige. Das war sehr reduziert, aber das Publikum war trotzdem so ergriffen und so dankbar! Es ist ein so großer Hunger nach Live-Musik und nach der Begegnung der Künstler mit dem Publikum. Und wenn man so einen Termin gehabt hat, will man immer mehr.

Und wie ging es Ihnen, als wirklich alles ausgeknipst war? Starrt man dann die Wand aus, wenn man so aus dem Leben geworfen wird?

Schager: Es war von 100 auf null, sofort. Ich war bei „Walküre“-Proben in der Wiener Staatsoper. Da hieß es, um elf kommt eine Verlautbarung der Regierung, wir haben das Radio aufgedreht und dann kam der Shutdown. Weiterproben hatte keinen Sinn, das war’s. Ich bin nach Hause zu meiner Familie und wir sind in unser Landhäuschen gefahren. Die berufliche Decke fällt einem schon auf den Kopf, aber die Kinder sagen einem, was man den ganzen Tag zu tun hat. Aber es ist wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenfällt. Der letzte Termin, den ich noch gesungen habe, war der „Ring“ in Paris. Bei mir steht seit dem 13. März bis Ende Dezember das reguläre Leben absolut still.

Denken wir mal an den 25. Juli, traditionell der erste Tag der Bayreuther Festspiele. Im neuen „Ring“ wären Sie der Siegfried gewesen. Wie haben Sie von dieser Komplett-Absage erfahren?

Schager: Im Idealfall läuft es so, dass das Betriebsbüro sich vorher bei den Künstlern meldet. Wir haben von Bayreuth eine Mail bekommen, wenige Minuten, bevor es öffentlich wurde. Natürlich haben wir alle schon damit gerechnet, die Gerüchte gab es schon sehr früh. Man konnte ja eins und eins zusammenzählen. Es geht ja nicht nur um die Sänger, Monate vorher kam die Technik zusammen. Dann habe ich noch gehofft, dass es eine Lösung geben wird, den „Ring“ konzertant… aber jetzt steht Bayreuth komplett still. Das tut mir schon sehr weh in der Seele.

Wie lange oder wie viel Alkohol womöglich haben Sie gebraucht, um darüber hinwegzukommen?

Schager: Ich bin kein Alkohol-Typ. Aus Frust habe ich noch nie getrunken, damit fange ich auch nicht an, sonst würde ich in dieser Zeit wohl unweigerlich zum Alkoholiker werden (lacht). Diese Monate haben ja nicht für diese Zeit Auswirkungen. In Bayreuth gibt es sie für mich bis 2026. Der neue „Ring“ in Bayreuth kommt erst 2022, also fällt für mich das flach, was ich dort im nächsten Jahr gemacht hätte. Und für Bayreuth habe ich immer alles andere hintenangestellt, auch die Salzburger Festspiele, wo ich einen ursprünglich geplanten „Tristan“ hätte machen sollen. Neben dem Schaden, den die Künstlerseele nimmt, ist das natürlich auch ein großer finanzieller Schaden.

Was halten Sie von der Entscheidung, dass und wie die Salzburger Festspiele in diesem Sommer nun doch, aber anders stattfinden?

Schager: Ich bin für jeden Veranstalter dankbar, der jetzt sagt, ich möchte spielen, wenn ich heute die Vorgabe bekomme, sperre ich morgen mein Haus auf. Wir sitzen da alle in einem Boot. Salzburg hat Mut bewiesen und spielt. Meine Hochachtung davor.

Vor Kurzem haben Sie Kurzarbeitergeld für freischaffende Künstler gefordert, die monatelang ohne Einkünfte sind, dass man Verträge zu 60 bis 80 Prozent auszahlen möge, auch wenn Vorstellungen nicht stattfinden. Gab es Reaktionen aus der Politik und den Häusern – oder haben alle angestrengt in die andere Richtung gesehen?

Schager: Es gab sehr viele Reaktionen, eigentlich nur Zuspruch. Es gab sehr viele Hilferufe von Kollegen. Ich bin jetzt ins Amt des Klassensprechers gekommen und ich bemühe mich dann natürlich. Ein Beispiel: Die Wiener Staatsoper hat einen Eigenkapitalbedarf von 35 Prozent. Also wurden 65 Prozent für die laufende Saison bereits von der öffentlichen Hand gegeben. Mein Vorschlag: Es sind damit ja auch 65 Prozent der Gagen für Freie bezahlt worden – also wäre es gut und richtig, dass man zumindest diesen Betrag ausbezahlt. Ich bin in der glücklichen Lage, festes Ensemblemitglied der Staatsoper Berlin zu sein, die monatlichen Einkünfte laufen weiter. Doch das haben sehr viele nicht und die fallen jetzt durch jedes Raster. Noch habe ich von keinem Opernhaus gehört, das irgendetwas jetzt bezahlen will.

Gerade bei Wagner sind es immer wieder die gleichen Sängerinnen und Sänger, die sich weltweit ständig begegnen. Ist da jetzt jeder sich selbst der Nächste in der Krise oder gibt es jetzt einen Zusammenschluss?

Schager: Wir arbeiten daran. Es wird ihn geben, ähnlich der „Cockpit“-Vereinigung für Piloten. Es kann so nicht weitergehen. Wir müssen gemeinsam auftreten. In manchen Verträgen steht, dass man fürs Umschneidern der Kostüme bezahlen muss, wenn man während der Probezeit ab- oder zunimmt. Es wird immer mehr auf den Sänger abgewälzt. Manche Häuser nehmen sich das Recht heraus, bis 24 Stunden vor der Vorstellung abzusagen und der Sänger kriegt nichts. Und in Verträgen steht, man muss zur ersten Probe „fertig studiert“ erscheinen. Bei einer Fünf-Stunden-Oper wie „Götterdämmerung“ heißt das: jede Menge Korrepetitions-Stunden im Vorfeld, die man selber bezahlen muss. Während der Probenzeit muss man sich selbst um ein Quartier kümmern. Wer acht Wochen in New York gelebt hat, weiß, was das kostet. Man hat schon ein kleines Vermögen ausgegeben, wenn man bei der ersten Probe da ist.

Rasend beliebt werden Sie sich damit bei Opernhäusern eher nicht machen.

Schager: Als Siegfried hab ich auch gelernt, keine Angst zu haben.

Einmal Heldentenor, immer Heldentenor… Wie werden Sie mit den Tagen mit dem großen B im Kalender umgehen, an denen eben keine Vorstellung in Bayreuth ist?

Schager: Das große B heißt dann eben nicht „Bayreuth“, das heißt „Baby“. Ich bin froh, intensiver Zeit mit meiner Familie gehabt zu haben und ich sehe es für die Zukunft als Chance.

Wie wird Ihre Branche in drei Jahren aussehen? Wird es einen Normalzustand geben, hier ein „Siegfried“, da eine „Götterdämmerung“ und alles ist im Grunde wieder so wie vorher?

Schager: Es wird wohl eine Art Normalzustand wieder sein, abhängend von der weltweiten Eindämmung der Pandemie.

Und was ist mit der Befürchtung, dass viele sagen: Ach na ja, es geht doch auch mit weniger Kultur? Jedes Theater, jedes Orchester, das eingespart wird, wird es nie wieder geben.

Schager: Die Befürchtung ist absolut akut. Da ich ein Optimist bin, denke ich, dass es nicht so sein wird. Dass der Hunger nach dem Echten, nennen wir es das Gute, Wahre und Schöne, in Krisenzeiten ganz stark wird. Schauen wir uns Wagners „Parsifal“ an. 1882 war die Uraufführung. Diese Oper hat den Ersten Weltkrieg überlebt, dann die Spanische Grippe, dann den Zweiten Weltkrieg. Unglaubliche Katas-trophen, der Kalte Krieg, viel anderes, und jetzt noch Corona. Aber das werden wir auch überstehen, das werden wir überleben. Es wird weitergehen. Und nach einer Krise wird es nach einer gewissen Zeit noch besser gehen. Das Wahre und Ehrliche wird immer siegen und uns weiterbringen.

Wenn es jetzt sofort wieder möglich wäre: Welches Stück wäre das erste, das Sie vor vollem Haus, mit allem Drum und Dran singen möchten?

Schager: Dieser Wunsch ist vorgestern mit den „Parsifal“-Auszügen schon ein bisschen in Erfüllung gegangen. Jonathan Nott hat den Karfreitagszauber herausgesucht, sehr clever. Das war immer mein Wunsch, dass ich mit dieser Musik diese Zeit überwinden werde und kann. Das war ganz was Besonderes, vor dem Orchester zu stehen und den 300 Leuten mitzuteilen „Wie dünkt mich doch die Aue heut‘ so schön!“ und diese wunderbare, heilsame Musik dabei. Das hat mir in der Seele schon sehr gutgetan. Ich kann es auch nicht erwarten, den ersten Siegfried wieder zu singen oder den ersten Tannhäuser. Ich hungere danach!

Und wenn es doch anders kommt – zurück auf die Scholle, Bauernhof, daheim in Niederösterreich, das Feld beackern?

Schager: Das kann‘ ich, das hab‘ ich gelernt. Das ist nicht das Schlechteste.

Was glauben Sie, wird die Musik- und Opernwelt nach Corona eine bessere sein – oder nur eine andere?

Schager: Eine bessere. Immer, wenn es große Unruhen gab, kamen von künstlerischer Seite die größten Schätze hervor.