Hamburg. Die Podcast-Reihe Entscheider treffen Haider – heute mit der Unternehmerin und Vordenkerin Verena Pausder.

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„Wir sind auf dem besten Weg, ein Naherholungsgebiet für China zu werden.“ – „Das Coronavirus hat es offenbart: Es ist absolut keine Zeit mehr, an der Vergangenheit festzuhalten.“ – „Wer jetzt noch auf Geschäftsreisen muss, macht sich verdächtig.“

Die Sätze stammen von Verena Pausder, 1979 in Hamburg geboren und 2020 von der Unternehmensberatung BCG und dem „Handelsblatt“ zur Vordenkerin des Jahres gekürt. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit der Autorin des Buches „Ein neues Land“ über den Rauswurf aus der Komfortzone und die Sehnsucht der Deutschen nach vergangenen Erfolgen, über die Angst vor der Digitalisierung der Schulen – und über ihren Uropa und ihren Onkel, die beide Bundespräsidenten waren.


Das sagt Verena Pausder über …

… die Sehnsucht danach, dass nach Corona alles wieder so wird, wie es einmal war:

„Das hat auch etwas mit einer romantischen Verklärung zu tun, diesem Gefühl, dass vor Corona doch eigentlich alles ganz kuschelig war und dass das Virus uns aus unserer Komfortzone geschubst hat. Was viele vergessen: Wir wären da sowieso rausgeschubst worden. Themen wie Homeoffice und digitales Lernen sind jetzt nur im Zeitraffer gekommen. Vielleicht war unser Leben vor Corona auch zu schön, um wahr zu sein, vielleicht haben wir versucht, etwas über die Zeit zu retten, dessen Zeit aber bereits abgelaufen war. Jetzt sind wir gezwungenermaßen in einer anderen Lage und sollten nach Corona nicht unsere Energie darauf verschwenden, all das zurückzudrehen, was wir gerade auf den Weg gebracht haben.“

… die neue Verantwortung:

„Nach der Corona-Krise werden sich viele ältere Menschen fragen, wie sie ihren Kindern eine Welt hinterlassen können, die nicht nur aus Schulden und offenen Fragen besteht. Früher wollten Eltern immer, dass es ihren Kindern einmal besser geht als ihnen selbst. Das können wir heute allein angesichts des Klimawandels nicht mehr garantieren, im Gegenteil. Und wir können ja nicht einfach bei der nächsten Generation den ganzen Schutt abladen. Ich hoffe, dass daraus eine andere Verantwortung für und eine Lust auf die Zukunft entsteht.“

… die Angst vor der Digitalisierung:

„Wir sehen immer nur die Risiken der Digitalisierung, den Datenschutz, dass soziale Medien süchtig machen können. Die Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, sehen wir viel zu wenig: Man stelle sich nur mal vor, die Pandemie wäre nicht im Jahr 2020, sondern 1980 gewesen … Dass wir trotz dieser Naturkatas­trophe miteinander in Verbindung bleiben, dass wir einkaufen können, ohne das Haus zu verlassen, ist doch ein großer Gewinn.“

… die Digitalisierung von Schulen:

„Man tut Lehrerinnen und Lehrern Unrecht, weil sie immer am Ende der Kette kommen. Sie haben in der Pandemie vor allem erfahren, was alles nicht erlaubt ist – dabei wäre es im März, beim ersten Lockdown, viel besser gewesen, wenn man ihnen gesagt hätte: In dieser Notsituation dürft ihr jetzt einfach mal diese 50 Anwendungen nutzen. Stattdessen haben wir mit Datenschutz und Verboten reagiert. Das größte Problem ist aber: Wir alle wollten bisher die Digitalisierung der Schulen nicht, weil wir fanden, dass unsere Kinder schon in der Freizeit zu viel vor den Geräten hängen. Die Schule sollte der vermeintlich sichere Ort sein, an dem sie davor geschützt sind. Was natürlich Quatsch ist. Wir müssen doch unsere Kinder nicht mit Schulbüchern von vorgestern unterrichten. Und noch etwas: Klassenzimmer sind wie Großraumbüros, man soll mit 20 bis 30 Leuten auf engstem Raum stundenlang konzentriert arbeiten. Das macht überhaupt keinen Sinn.“

… die Kernprobleme der deutschen Wirtschaft:

„Erstens neigen wir dazu, gern zurückzugucken und uns daran zu freuen, wie stark und gut und führend wir einmal waren. Zweitens sehen wir alles, was zu sehr die Grenzen in Richtung Zukunft verschiebt, schnell als größenwahnsinnig an. Was wir am meisten über Tesla-Gründer Elon Musk sagen, ist: „Der ist irre.“ Wir müssen in unserem Land endlich den Spaß daran wecken, die Zukunft auch mal mit großen Ideen zu gestalten, anstatt die Vergangenheit zu verherrlichen.“

… Hamburg und Berlin:

„Ich bin in Hamburg geboren und finde nach wie vor, dass es eine tolle, schöne Stadt ist, einfach heile Welt. Aber ich lebe inzwischen in Berlin, weil mir Hamburg zu eng geworden ist. In Hamburg habe ich das Gefühl, dass nicht jede alles werden kann. Entweder warst du schon auf dem richtigen Gymnasium und im richtigen Hockeyclub – oder eben nicht. In Berlin ist jedem egal, wer deine Eltern sind. Wenn du hier ein Unternehmen gründen willst, kommt es nur auf die Idee an. Das liebe ich an der Stadt, auch wenn sie wahnsinnig dreckig und anstrengend ist. In Berlin wirst du nicht alt, die Stadt hält jung, und es macht fast süchtig, hier zu wohnen.“

… das Scheitern:

„Man kann als Gründer nur sagen, dass Scheitern nicht so schlimm ist, wenn man danach erfolgreich gewesen ist. Aber: Wenn du einmal gescheitert bist, ist die Chance, dass es beim nächsten Mal klappt, viel größer.“

… Geschäftsreisen:

„Wer jetzt noch freiwillig auf Geschäftsreise gehen möchte, hat wirklich den Schuss nicht gehört. Es war doch absurd, dass man früher für ein einstündiges Meeting von Berlin nach Zürich geflogen ist. Wer künftig sagt: Ich muss zum Flieger, den sollte man immer fragen: Geht das nicht auch digital? Muss das sein?“

… Homeoffice:

„Die entscheidende Frage muss sein, wo Menschen am besten arbeiten können. Das sollte die Leitlinie für Unternehmen werden, da sollten sie maximal flexibel sein und nicht zu viel regeln oder kon­trollieren. Nicht der Arbeitsort entscheidet, ob etwas Arbeit ist, sondern das Ergebnis. Und wenn man als Chefin oder Chef sich fragt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice eigentlich machen und ob man ihnen vertrauen kann? – Dann hat man ein grundsätzliches Problem. Es gibt noch einen schönen Satz, den ich neulich von einem Kollegen gehört habe: Ich werde ja nicht dafür bezahlt, dass ich irgendwo sitze, sondern dafür, dass ich denke.“

… zwei Bundespräsidenten in ihrer Familie­:

„Gustav Heinemann war mein Urgroßvater, Johannes Rau war mein Onkel. Beide hat verbunden, dass sie ernsthaft daran interessiert waren, was Bürgerinnen und Bürger wollen, und dass sie als Politiker nichts Besonderes sein wollten. Das ist heute leider oft anders, diese Nähe zwischen Volk und Politik müssen wir wieder hinkriegen.“

… die Frage, warum nur 15 Prozent aller Unternehmensgründer weiblich sind:

„Erstens gründen Frauen weniger wegen der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zweitens gehen nur zwei Prozent des weltweiten Risikokapitals an Frauen, was wiederum daran liegt, dass fast alle diese Geldgeber männlich sind. Drittens gibt es viel zu wenige Vorbilder als Unternehmerinnen.“