Hamburg. Die “Tagesthemen“-Moderatorin spricht im Abendblatt-Podcast über ihre Erfahrungen aus 13 Jahren Nachrichtenfernsehen.

Sie hat die vergangenen Monate allein in einem Büro beim NDR verbracht, in selbst verordneter Büroquarantäne, weil es ja nicht so viele „Tagesthemen“-Moderatoren gebe. „Ist ein bisschen einsam gerade“, sagt Caren Miosga (51) in dieser Folge von „Entscheider treffen Haider“, in der es nicht nur um die jüngste Zeit, sondern um die kompletten 13 Jahre geht, die sie eine der wichtigsten deutschen Nachrichtensendungen moderiert.

Die Themen: Warum Interviews mit Staatsoberhäuptern (und Politikern insgesamt) schwierig sind und wieso sie eines mal abgebrochen hat. Was die Geburt ihres ersten Kindes mit Angela Merkel zu tun hat. Und wie sie zu einer gendergerechten Sprache sowie zu Anglizismen steht. Das sagt Caren Miosga über …

… langweilige Gespräche mit Politikern, die man am liebsten nicht senden würde:

„Wir senden alle Gespräche, zu denen wir uns mit Politikern verabredet haben, sofern sie technisch in Ordnung sind. Unsere Aufgabe als Fragende ist es ja, ein eben nicht langweiliges Gespräch zu kreieren. Wenn die Antworten dann langweilig sind ist, dann sind sie es halt. Viele Politiker neigen ja leider dazu, nur das zu sagen, was sie ohnehin sowieso sagen wollen oder was ihnen ihre Medienberater eingeflüstert haben. Authentisch ist das meist nicht.“

… ein skurriles Interview mit dem damaligen georgischen Präsidenten:

„Interviews mit ausländischen Staatsoberhäuptern sind immer besonders anspruchsvoll, weil sie oft kritische Fragen als Staatsbeleidigung empfinden. In diesem Fall war es besonders schlimm. Ich stellte die erste Frage, und er fing an zu reden und hörte nicht wieder auf. Ich bin dreimal so dazwischengegangen, dass wir parallel geredet haben. Aber er ignorierte es komplett. Zum Schluss habe ich dann gesagt: Danke für den Monolog, aber an dieser Stelle müssen wir abbrechen. Das war so offensichtlich, dass er überhaupt nicht reden, sondern einfach nur seine Botschaften loswerden wollte. Ehrlich gesagt war es eine Unverschämtheit, sich so zu verhalten.“

Noch mehr Entscheider:

… Unterschiede in den Fragestilen bei den eher aggressiven Moderatoren vom „heute-journal“ und den kritisch-höflichen Moderatoren der „Tagesthemen“:

Ist das so? Nein, es ist kein Konzept, wir haben uns nicht abgesprochen, wie wir sein wollen. Das Gute im Fernsehen ist ja, das man genau sehen kann, ob sich jemand verstellt, ob er besonders cool oder investigativ wirken will. Oder ob er einfach lieber so fragt, wie er eben fragt. Entscheidend ist, dass wir in der Sache hart fragen, der Rest ist Typsache, ob man das besonders scharf oder freundlich angeht. Es hilft übrigens nach meiner Erfahrung enorm, wenn Sie am Anfang eines Gesprächs erst mal den roten Teppich ausrollen, damit der Interviewte nicht gleich den Eindruck hat, von allen Seiten beschossen zu werden. Wenn Sie von vornherein die Bazooka rausholen, riskieren Sie, dass bei dem Gespräch nichts rauskommt außer einem zur Schau gestellten Kampf. Leider haben wir in den „Tagesthemen“ dafür nicht alle Zeit der Welt. Es wäre schön, wenn die Gespräche gelegentlich länger sein könnten.“

… die Frage, ob sie die Politiker, die sie befragt, persönlich kennt:

„Unsere Sendungen entstehen ja in Hamburg. Das ist manchmal ein Nachteil, weil wir Politiker natürlich am liebsten nicht nur live im Gespräch, sondern leibhaftig im Studio hätten. Dann sind Gespräche noch einmal ganz anders, weil man sich in die Augen sieht. Es wäre also in dieser Hinsicht ein Vorteil, wenn wir in Berlin produzierten. Gleichzeitig könnte es aber auch ein Nachteil sein, permanent persönliche Kontakte zu Politikern zu haben. So treffe ich Politiker gelegentlich mal auf Veranstaltungen oder anlässlich der Interviews, zu denen ich fahre. Aber ansonsten sorgt unser Standort Hamburg dafür, dass wir eine gesunde Distanz zum Berliner Politikbetrieb bewahren.“

… die Regeln für Gespräche mit der Bundeskanzlerin:

„Sie ließ sich bislang nicht in eine ,Tagesthemen‘-Sendung zuschalten. Wenn wir mit ihr sprechen wollten, mussten wir ins Bundeskanzleramt fahren, was ich dreimal getan habe. Weil das nicht so häufig vorkommt, sind Gespräche mit der Kanzlerin oder auch mit dem Bundespräsidenten ausgeruhter und deutlich länger als andere.“

… Gemeinsamkeiten mit der Bundeskanzlerin:

„In dem Hamburger Kreißsaal, in dem mein erstes Kind zur Welt kam, ist Angela Merkel geboren worden. Zumindest hat mir das meine Hebamme damals erzählt.“

… inzwischen 13 Jahre bei den „Tagesthemen“:

„Es fühlt sich gar nicht so lange an. Denn es gilt immer noch, was ich am ersten Tag gesagt habe: Dieser Job ist wie kein anderer, weil er mich wachhält, immer wieder überrascht und herausfordert. Die Welt dreht sich eben jeden Tag neu. Deshalb mache ich das auch immer noch so gern.“

… ihre Arbeitstage:

„Unsere Arbeitstage sind sehr lang. Die erste Konferenz beginnt um 11.45 Uhr, aber natürlich beginnt der Tag vorher schon mit Zeitung- und Soziale-Medien-Lesen, Radiohören. Und er endet erst gegen Mitternacht, eigentlich verlasse ich das NDR-Gelände nur zum Schlafen. Deshalb haben wir ,Tagesthemen‘-Moderatoren nach sieben Tagen Arbeit auch immer eine Woche sendungsfrei.“

… die Rolle der Moderatorin in der „Tagesthemen“-Redaktion:

„Die Leitung der Sendung liegt in den Händen des sogenannten Chefs vom Dienst. Aber natürlich denken und diskutieren alle mit, die sich um die Planung der ,Tagesthemen‘ kümmern. Übrigens sind das inklusive der moderierenden Redakteure nur eine Handvoll Menschen.“

… ihre Büroquarantäne:

„Ich sitze seit Beginn der Corona-Krise in meinem Büro im zweiten Stock des Nachrichtenhauses und verlasse dieses Büro so gut wie nicht. Da wir ja nur drei Moderatoren sind, haben wir beschlossen, weiter in Büroquarantäne zu bleiben, und uns mit den anderen Kollegen nur via Video und Telefon zusammenzuschalten. Das ist ganz okay, aber mir fehlt der persönliche Austausch schon enorm. Der einzige Mensch, den ich jeden Tag sehe, ist die Maskenbildnerin oder der Maskenbildner. Danach gehe ich ins Studio und winke dem Nachrichtensprecher zu, der ja aber weit genug von mir entfernt steht. Ist ein bisschen einsam gerade.“

… die Omnipräsenz von Christian Drosten in den Medien:

„Die kommt daher, dass Christian Drosten einer der Spezialisten für dieses Virus war und ist. Und gleichzeitig haben alle Medien den armen Kerl zu einer Art Heilsbringer gemacht, der er nicht ist. Man muss es erst mal schaffen, als Wissenschaftler der Charité auf den ,Spiegel‘-Titel zu kommen. Allerdings haben wir uns bei den ,Tagesthemen‘ bemüht, auch andere Virologen – Christian Drosten trat bei uns nur ein paar Mal auf - und übrigens auch Virologinnen vor die Kamera zu bekommen. Denn eine Zeit lang hat man immer nur männliche Wissenschaftler gesehen, obwohl es auch sehr gute Wissenschaftlerinnen in diesem Fachbereich gibt. Wir achten sehr darauf, regelmäßig Frauen als Gesprächspartnerinnen einzuladen.“

… die Corona-Krise als besondere journalistische Herausforderung:

„Der Unterschied zu anderen Krisen ist, dass wir dieses Mal alle selbst betroffen sind. Wir mussten immer wieder die Distanz zum Gegenstand der journalistischen Berichterstattung finden, das war ein interessanter Prozess und eine neue Erfahrung.“

… böse E-Mails von Zuschauern:

„Wenn sie nur unhöflich formuliert ist, beantworte ich die Mail noch. Wenn es unter der Gürtellinie ist, lösche ich die Mail unbeantwortet. Übrigens: Wenn man Schreiber unverschämter Mails auffordert, sich via Video einem Gespräch zu stellen (was wir zum Beispiel mit der Aktion ,Sag’s mir ins Gesicht‘ gemacht haben), dann haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie in der Sache zwar hart bleiben, der Ton aber ein völlig anderer ist.“

… gendergerechte Sprache:

„Wir bemühen uns schon darum, nicht nur die männliche, sondern auch die weibliche Form zu nennen, aber es geht nicht immer. Sonst haben sie irgendwann mal vor lauter ,-innen‘ einen Teppich im Mund. Weil aber Sprache enorm viel verändern kann, ist die Diskussion darüber wichtig. Ich finde es deshalb gut und richtig, immer wieder drauf zu achten.“

… Anglizismen:

„Ich bin allergisch gegen zu viele Anglizismen, denn es gehört zu unseren Aufgaben, die Dinge verständlich zu formulieren und zu übersetzen.“