Hamburg. Im Podcast spricht die Stage-Chefin über ihren ersten Job und über ein weiteres Musicaltheater für Hamburg.

Sie wollte immer etwas mit Theatern zu tun haben, aber nie selbst auf der Bühne stehen: Uschi Neuss ist Chefin des Musicalskonzern Stage Entertainment (1700 Mitarbeiter, 330 Millionen Euro Jahresumsatz).

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider mit Uschi Neuss über ihren ersten Job beim „Phantom der Oper“ (den sie abgelehnt hat), über ein weiteres Musicaltheater für Hamburg – und über das Jahr 2020, das eigentlich das beste in der Geschichte des Unternehmens werden sollte. Nun muss Stage wegen Corona das Programm „in die Zukunft verschieben“, 300.000 Karten umbuchen und hoffen, dass die Abstandsregel nicht auch für Musicals gilt. Das sagt Uschi Neuss über …

… ihren Weg in die Musical- und Theaterwelt:

„Mein Ziel war immer, etwas mit Theater und Film zu machen. Aber unbedingt immer hinter der Kamera oder hinter der Bühne. Ich wollte zwar ein Teil dieser Welt werden, aber auf keinen Fall so, dass ich dabei im Mittelpunkt stehe. Ich wollte und will dabei helfen, dass Menschen eine gute Zeit haben und für ein paar Stunden der Realität entfliehen können.“

… ihr ungewöhnliches erstes Vorstellungsgespräch:

„Noch während meines Studiums bekam ich von meiner Tante, die in Hamburg lebt, den Tipp, mich beim „Phantom der Oper“ zu bewerben. Ich habe einfach mal dahingeschrieben und tatsächlich einen Vorstellungstermin erhalten. Einen Tag vor dem Gespräch habe ich mir das Musical zum ersten Mal angesehen, damals spielte Peter Hoffmann noch die Hauptrolle, und war total fasziniert. Ich war ehrlich gesagt kein Fan der Musik, aber was da zwischen den 2000 Zuschauern und den Schauspielern auf der Bühne passierte, hat mich sehr beeindruckt. Am nächsten Tag lief das Gespräch so gut, dass ich den Job, eine Assistentenstelle, bekommen habe. Angenommen habe ich ihn aber nicht, ich wollte dann doch erst zu Ende studieren und habe dankend abgesagt. Nach dem Studium habe ich per Brief gefragt, ob jetzt vielleicht etwas ginge – und habe meine Karriere im Unternehmen mit einer Stelle in Duisburg begonnen. Ein paar Jahre später wurde ich Geschäftsführerin vom ,Phantom der Oper‘. Meine Tante hatte also recht gehabt.“

… Hamburg als Musicalstadt:

„Wenn wir ehrlich sind, sind London und New York nicht nur als Städte, sondern auch als Musicalstandorte größer. Aber danach kommt weltweit Hamburg. Für viele Menschen, die die Stadt besuchen, ist ein Musicalbesuch entweder der Höhepunkt ihrer Reise oder sogar der Grund. Die Menschen, die in unsere Shows kommen, lassen übrigens rund 600 Millionen Euro in Hamburg. Wir wollen hier unbedingt noch ein weiteres Theater eröffnen und weitere Musicals hierherholen. Denn das ist es ja, was der Broadway in New York Hamburg noch voraushat: Dass es permanent wechselnde Stücke gibt und man den Gästen ganz, ganz viel anbietet. Die Vielfalt ist das Interessante. Am besten mit ein bis zwei Premieren pro Jahr.“

… den Start ins Jahr 2020:

„Das Weihnachtsgeschäft 2019 war schon sehr, sehr gut gelaufen, und wir hatten einen tollen Start ins neue Jahr. Wir waren auf einem hervorragenden Weg und hatten erwartet, dass 2020 das beste Jahr in der Unternehmensgeschichte werden würde. Das wäre ein Rekord geworden! Wir hatten einen Super-Spielplan, den wir jetzt in die Zukunft verschoben haben, der „König der Löwen“ steht vor seinem 20. Geburtstag mit vielen Aktionen, wir hatten mit „Tina“ eine Wahnsinns-Premiere, und, und, und. Das sah alles vielversprechend aus, wir hatten eine große Aufbruchsstimmung im Unternehmen.“

… die Schließung der Musicaltheater:

„Wir haben die Theater am Freitag, 13. März, geschlossen. Und dann ging der ganze Wahnsinn los. Im Moment buchen wir allein 300.000 Tickets um, und das sind nicht alle Tickets, die wir verkauft haben. Wir buchen nämlich immer nur für die Zeiträume um, für die es ein klares Verbot für Theater gibt. Das funktioniert zum Glück sehr gut, weil wir ja unbegrenzt in die Zukunft umbuchen können. Im Moment haben wir die Planungen so geschoben, dass wir ab September wieder spielen können.“

… die Abstandsregel in einem Musicaltheater:

„Es ist in unseren Zuschauerräumen unmöglich, die Abstandsregel einzuhalten. Dann müssten wird dort mit 300, 400 Leuten sitzen, die auf der Bühne Darsteller erleben würden, die in keiner Weise auf Distanz zueinander gehen können. Es kommt hinzu, dass es sich wirtschaftlich nicht rechnen würde, für so wenige Menschen Musicals aufzuführen. Es gibt ja einen Grund, warum unsere Theater so groß sind.“

… die Zeit nach Corona:

„Ich glaube, dass es nach Corona so ähnlich weitergehen wird wie vor Corona, weil die Menschen schnell vergessen. Wir sind auch in der Vergangenheit immer in der Lage gewesen, uns anzupassen und Ängste hinter uns zu lassen. Das wird auch diesmal passieren. Die Frage ist allein, wie schnell das passiert. Und ein ganz großes Bedürfnis ist doch, mit anderen Menschen Zeit zu verbringen, und dabei nicht durch eine Plexiglasscheibe voneinander getrennt zu sein. Deshalb glaube ich, dass das alles zurückkehrt. Das Wichtigste ist, dass die Leute wieder die Angst davor verlieren, über einen gewissen Zeitraum mit anderen in einem Raum zu sein.“

… einen Vorteil neben vielen Nachteilen:

„Wir können als Branche beobachten, wie andere Branchen sich mit Lockerungsmaßnahmen und Öffnungsszenarien auseinandersetzen. Für uns ist das im Moment ein Luxus, uns das einmal anzusehen. Wir werden nicht diejenigen sein, die als Erste etwas austesten, was dann vielleicht doch nicht funktioniert.“

… eine grundsätzlich krisensichere Branche:

„Ich habe immer behauptet, dass unsere Branche krisensicher ist, weil man sich das Leben ohne Theater und ohne Live-Erlebnisse nicht vorstellen kann. Und ich glaube, dass man jetzt noch deutlicher merkt, wie sehr dieses gleichzeitige Erlebnis mit anderen Menschen fehlt. Das kann man durch nichts ersetzen.“