Hamburg. Im Podcast spricht der Chef der Bar Le Lion über seinen Gin Basil Smash – und warum er der Politik vorwirft, Lack getrunken zu haben.

Jörg Meyer ist einer der wenigen Barkeeper, denen es gelungen ist, einen Cocktail zu erfinden, der überall auf der Welt getrunken wird: den Gin Basil Smash. Seine Bar Le Lion in der Nähe des Hamburger Rathauses wurde 2008 zur besten Neueröffnung der Welt gewählt und ist bis heute eine Topadresse – nur öffnen darf sie im Moment leider nicht. Meyer betreibt auch die Boilerman Bar in Eppendorf, entwickelt Barkonzepte für die Hotels der 25hours-Gruppe in verschiedenen Ländern Europas und eröffnete kurz vor der Corona-Krise den „Erdbeerfressenden Drachen“ in den Deichtorhallen.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider mit Jörg Meyer darüber, wie man ein Weltstar in der Barszene wird, wie viele Gin Basil Smash er normalerweise in einem Jahr verkauft – und wieso er den Politikern vorwirft, Lack getrunken zu haben. Das sagt Jörg Meyer über …

… den Landgasthof seiner Familie: Meine Familie betreibt den Landgasthof Meyer in Niedersachsen, ich habe schon mit sechs Jahren im Schlafanzug hinter dem Tresen gestanden, wenn ich nicht einschlafen konnte …

… seine Karriere als „Trinker“: Wenn man in Niedersachsen mit all seinen Schützenfesten aufwächst, hat mit dem Trinken meist kein großes Problem. Ich habe immer gern Alkohol getrunken, aber nie maßlos. In Hamburg habe ich dann während meiner Ausbildung im Hotel Grand Elysée die edle Form der Trinkkultur kennengelernt und habe mein gesamtes Trinkgeld mehr oder weniger an Bars ausgegeben.

… die ersten eigenen Bars: Ich bin 2007 in Hamburg mit der Bar Le Lion bekannt geworden, hatte aber schon vorher gastronomische Betriebe: Ich war am Restaurant Atlas in Ottensen beteiligt, wo ich auch meinen Geschäftspartner Rainer Wendt kennengelernt habe. Zusammen haben wir die Bar im früheren Streit’s-Kino gemacht, die leider ein totaler Flop war. Rainer hat damals auch das inzwischen berühmte Café Paris in der Nähe des Hamburger Rathauses gegründet. Dort gab es einen kleinen Raum, der für Gastronomie eigentlich nicht zugelassen war, und in dem ich mich als Barkeeper ausprobiert habe. Ich habe die kleine Bar nur ein- oder zweimal die Woche für Freunde aufgemacht, die für die Drinks nichts bezahlen mussten. Die brachten aber immer öfter selbst Gäste mit, unter denen auch ein Journalist gewesen sein muss. Denn plötzlich tauchten wir in einem Magazin unter den besten Bars Deutschlands auf, was schwierig war, weil wir ja keine Konzession hatten. Zum Glück wurde kurz darauf eine Immobilie schräg gegenüber dem Café Paris frei – und ich konnte endlich eine richtige Bar eröffnen, das Le Lion.

… die Wahl der Bar Le Lion zur besten Neueröffnung der Welt 2008: Das war ein tolles Kompliment, weil ich das Le Lion ja erst am 30. November 2007 eröffnet hatte. Dass die Bar diesen Preis bekommen hat, lag aber auch daran, dass ich in den Jahren zuvor bestimmt jeweils 20.000 bis 30.000 Euro ausgegeben habe, um mir Bars auf der ganzen Welt anzugucken, alle Messen zu besuchen, die Leute aus dieser kleinen Branche kennenzulernen. Und als 2008 der Preis verliehen wurde, bestand die Jury aus Menschen, die mich alle kannten und von denen viele sich meine Bar angesehen hatten. Was wir im Le Lion damals gemacht haben, war aber auch sehr besonders.

… die Erfindung des Gin Basil Smash: Wir hatten in der Anfangsphase des Le Lion das Problem, dass spätestens mit Beginn des Frühlings immer weniger Leute in die Bar kamen und ich immer weniger zu tun hatte. Ich habe diese Zeit genutzt, um an neuen Drinks zu experimentieren, mir deswegen in der Küche des Café Paris immer wieder Zutaten geklaut. Kräuter, Gewürze, so was halt. Und eines Tages stand da Basilikum, und ich dachte: Nimmst du den mal mit. Der schmeckte im Gin nicht nur richtig gut, sondern ergab auch eine richtig krasse Farbe. Berühmt geworden ist der Drink, nachdem ich ihn am 10. Juli 2008 in meinem eigenen Blog vorgestellt hatte, der von den wichtigsten Barkeepern Deutschlands gelesen wurde. Die haben den Gin Basil Smash dann auf ihre Karten genommen – und die Gäste haben bestellt wie wild. Wir machen allein im Le Lion ein Drittel unseres Umsatzes mit diesem einen Drink. Pro Jahr verkaufen wir rund 25.000 Stück davon.

… die Frage, wie er eigentlich erfahren hat, dass er wegen des Coronavirus seine Bars schließen muss: Ich habe bis heute keinen Brief und keine Mail von der Stadt dazu erhalten. Ich weiß, dass die Zeiten schwierig sind und Politiker es nicht leicht haben, und tauschen möchte ich mit ihnen auch nicht. Aber die Kommunikation mit den Betroffenen hätte besser sein können. Ich habe alle meine Informationen allein aus den Medien erhalten und dann eins und eins zusammengezählt.

… das mangelnde Interesse der Politik an der Gastronomie: Mir ist total bewusst, dass die Corona-Krise eine der größten Naturkatastrophen ist, die die Welt je gesehen hat. Keiner kann etwas dafür, jeder muss Opfer bringen. Ich fordere weder für mich noch für das Gastgewerbe eine Sonderbehandlung. Aber die Bundesregierung hat in den ersten fünf Wochen nicht einmal das Wort Gastronomie in den Mund genommen, es war, als gäbe es diese Branche überhaupt nicht. Das hat mich sehr enttäuscht, genauso wie die Aussage von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, dass kein gesundes Unternehmer wegen der Krise in die Insolvenz gehen wird. Ich habe mich gefragt: Warum lügt dieser Mann so wissentlich? Das habe ich nicht verstanden. Und erst als der Dehoga darauf hingewiesen hat, dass in den nächsten Monaten 70.000 gastronomische Betriebe in Deutschland pleitegehen könnten, hat sich in der Politik etwas getan. Leider in die falsche Richtung: Die haben ja für ein Jahr lang die Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Als ich das gehört habe, habe ich mich wirklich gefragt, ob die Lack gesoffen haben. Was helfen mir niedrigere Steuern, wenn ich monatelang keinen Umsatz habe und keinerlei Ansage, wann und wie ich wieder öffnen kann? Insgesamt verstehe ich nicht, warum man unterschwellig immer wieder raushört, dass Gastronomie irgendwie ganz schlimm sein muss, alles wie in Ischgl. Entschuldigung, hat sich einer mal die Schlachten in den Baumärkten angeguckt? Da muss mal wieder Menschenverstand in die Politik.

… Hilfe vom Staat: Wir haben alles beantragt, aber bisher kein Geld bekommen. Zwei, drei Wochen nachdem wir unsere Anträge gestellt haben, habe ich mal in der Behörde nachfragen lassen. Und was erzählt uns ein sehr netter Sachbearbeiter? Es habe in den ersten zwei Tagen Softwarepro­bleme gegeben, etliche Anträge seien verschwunden … Ich finde es schon erstaunlich, dass in den Behörden eigentlich alles schiefläuft, was sie von uns als Unternehmen seit zehn Jahren einfordern. Und bis das Kurzarbeitergeld kommt, das wissen inzwischen alle Gastro­nomen, kann es schon mal acht Wochen dauern.

… Kredite und fehlende Perspektiven: Wir haben sofort mit unserer Bank vereinbart, dass wir den Dispo auf 100.000 Euro erhöhen. Mit dem Geld habe ich erst einmal die Gehälter bezahlt. Bevor ich weitere Kredite aufnehmen kann, muss ich aber wissen, wie es mit der Gastronomie weitergeht. Bis heute gibt es kein klares Signal, wann wir wieder öffnen dürfen. Wir wurden per Gesetz enteignet, unsere Betriebe wurden sieben Wochen stillgelegt, und es gibt keine Ansage, wann damit Schluss ist. Ich kann überhaupt nicht einschätzen, was ich in den nächsten Wochen machen darf und wie viel Geld ich dafür brauche. Ich würde das Problem gern selber lösen, aber leider wird mir das im Moment nicht erlaubt.

… die Rettung: Ich verstehe nicht, dass sich im Moment so viele Menschen zurücklehnen und gar nicht bemerken, dass vieles von dem, was Hamburg lebenswert macht, kaputtgehen und verschwinden wird. Wenn ich dann mit den Leuten rede, sagen die: Jörg, bleib ganz ruhig, der Staat macht das schon. Was für eine Einstellung! Wir leben doch nicht im Sozialismus, wir müssen das selbst machen, wir brauchen dafür aber unsere unternehmerische Freiheit zurück. Aus dieser Krise werden uns Unternehmer retten, nicht Politiker und Experten.