Hamburg. Psychoonkologin von der Asklepios Klinik Barmbek: Umgang mit Krebs macht Angehörige und Freunde oft hilflos.

„Muss ich jetzt sterben?“ und „Wie sage ich meinen Kindern, dass ich schwer erkrankt bin?“ Das seien die beiden häufigsten Fragen von Frauen, die sich plötzlich mit der Diagnose Krebs konfrontiert sähen. „Es ist der größtmögliche Schock“, sagt Wera von Zitzewitz, Psychoonkologin an der Asklepios Klinik Barmbek. „Viele Frauen fühlen sich, als seien sie aus heiterem Himmel vom Schlag getroffen worden. Man stelle sich das vor: Man geht routinemäßig zur Früherkennung und dann sagt der Frauenarzt ganz unerwartet: Moment, da stimmt etwas nicht.“

Die Frauen erlebten gewissermaßen ein „Paradoxon“, sagt die Expertin in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios, im Gespräch mit Vanessa Seifert. „Normalerweise fühlt man sich krank, kommt in die Klinik und wird gesund wieder entlassen. Hier ist es gefühlt andersherum: Die Frauen fühlen sich kerngesund, haben womöglich nicht einmal selbst etwas ertastet. Sie wissen aber nun, dass sie ins Krankenhaus kommen und die Therapie aus Operation und möglicher Chemotherapie sehr unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringen wird.“

Wechselspiel aus Angst, Panik, Hoffnung und Traurigkeit

Zwar gingen Patienten grundsätzlich sehr individuell mit der eigenen Krebserkrankung um, ein gewisses Verhaltensmuster gebe es aber doch, sagt die 61-Jährige: „Es ist ein Wechselspiel aus Angst, manchmal Panik, dann wieder Hoffnung, dann wieder große Traurigkeit.“ Wichtig sei, seine Emotionen auszudrücken, Traurigkeit zuzulassen. „Das verringert das Risiko, depressiv zu werden.“ Denn Schätzungen zufolge erleidet mindestens ein Drittel der rund 500.000 Menschen, die bundesweit jedes Jahr neu an Krebs erkranken, eine Depression. Ein offener Umgang mit der Krankheit helfe. So sollte man auch schon kleine Kinder einweihen. „Natürlich kindgerecht und in bildlicher Sprache.

Das Thema zu verschweigen, kann Unsicherheiten auslösen. Denn auch schon kleine Kinder spüren ganz genau, wenn etwas in der Familie nicht stimmt. Und Fantasie neigt dazu, das Schlimmste anzunehmen.“ Die Psychoonkologin, die 20 Jahre lang als Hebamme gearbeitet hat, sich dann für ein Studium der Psychologie entschied und über ein Praktikum auf der Palliativstation zur Psychoonkologie kam, sagt: „Vor einer Chemotherapie sollte man die Kinder zum Beispiel sanft darauf vorbereiten, dass Mama vielleicht die Haare ausfallen. Sonst sind sie umso mehr verwunderter, wenn Mama plötzlich andauernd ein Kopftuch trägt.“

Warum von erwarteter Stelle manchmal wenig Hilfe kommt

Auch Freunde, Nachbarn, auch Kollegen und den Chef könne man einweihen. „Man muss die Erkrankung natürlich nicht an die große Glocke hängen, aber wenn es ein vertrauensvolles Miteinander ist, spricht nichts gegen Offenheit.“ Allerdings müsse man darauf gefasst sein, dass manchmal von erwarteter Stelle gar nichts komme, von unerwarteter Stelle dagegen viel Unterstützung. „Ein Phänomen in Extremsituationen“, sagt die gebürtige Rheinländerin.

„Mir hat mal eine Patienten erzählt, dass sie nach der Diagnose das Gefühl hatte, dass eine Nachbarin, zu der sie immer einen sehr engen Kontakt hatte, plötzlich schneller durchs Treppenhaus laufe, um ihr nicht zu begegnen.“ Doch wie geht man damit um? „Leichter gesagt als getan, aber man darf es nicht zu persönlich nehmen. Oft ist es nicht böse gemeint, sondern nur ein Ausdruck großer Hilflosigkeit.“ Andere Menschen wiederum reagierten mit vielen Tipps. „Das ist dann auch nicht immer erwünscht, weil sich mancher Ratschlag mehr wie ein Schlag anfühlt.“

Angehörige haben Angst, alleine zurückzubleiben

Auch Angehörige von Krebspatienten berät die Psychoonkologin in der Klinik in Barmbek. „Sie sind oft mindestens so belastet wie der Erkrankte. Sie haben Angst, alleine zurückzubleiben. Oder das eigene Kind zu verlieren. Das ist ja mit das Schlimmste, auch wenn das Kind schon längst erwachsen ist.“

Dass Patienten sich nach alternativen Therapien umsehen, manchmal die klinische Behandlung ganz ablehnen, erlebe sie auch. „In diesen Fällen rate ich gar nichts. Wichtig ist für mich, mit dem Patienten herauszufinden, was ihm in der jeweiligen Situation hilft. Es geht ums Zuhören, oft auch erst einmal um eine Anerkennung des Leides.“

Als Hebamme kümmerte sich Wera von Zitzewitz um den Beginn des Lebens, nun oft um das Ende. „Geborenwerden und Sterben - da müssen wir alle durch. Wir können den Weg nicht verändern, aber vielleicht etwas ebnen. So verstehe ich meine Aufgabe.“