Hamburg. Sprach- und Sprechstörungen schneiden Menschen von ihrer Umgebung ab. Was hilft, erklärt Prof. Rudolf Töpper.

Plötzlich fehlen die richtigen Worte. Es verschlägt einem regelrecht die Sprache. „Es ist eine ganz große Katastrophe, wenn Menschen nach einem Schlaganfall oder durch eine Krankheit wie Parkinson ihr wichtigstes Kommunikationsmittel verlieren“, sagt Professor Dr. Rudolf Töpper.

„Man muss sich das so vorstellen, als wenn man aus allen WhatsApp-Gruppen gleichzeitig rausfliegt“, sagt der Chefarzt der Neurologie vom Asklepios Klinikum Harburg in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

Sprache strukturiert unser Denken

Seinen Studierenden an der Asklepios Medical School sage er oft, über Sprache denke man eigentlich immer erst dann nach, wenn man Probleme damit habe. „Sprache ist so wichtig, weil sie unser Denken strukturiert, was im Prinzip nichts anderes ist als inneres Sprechen“, sagt der gebürtige Karlsruher, der seit 2002 in Harburg tätig und mit seiner Familie in Heimfeld zuhause ist.

Durch Sprache sei der Mensch in der Lage, Begriffe und Bedeutungen zusammenzufügen. „Grammatik ist der Mörtel dafür.“ Tiere gelänge dies folglich nicht. „Ihr Hund mag verstehen, wenn sie sagen: Gassi gehen! Er wird aber nicht schnallen, wenn sie sagen: Heute gehen wir erst nach dem Mittag raus, weil es jetzt gerade regnet.“ Das Sprechen sei überaus komplex, mehr als 100 Muskeln müssten koordiniert werden, damit wir Töne rausbringen.

Sprach- oder Sprechstörung: Was die Unterschiede sind

Zwei Krankheitsbilder werden unterschieden: die Aphasie, was aus dem Griechischen kommt, und so viel wie „Sprachlosigkeit“ bedeutet, und die Dysarthrie. Doch was ist der Unterschied? „Die Aphasie ist eine Sprachstörung. Das bedeutet: Der Betroffene kann beispielsweise einen Ball nicht benennen. Er kann das Wort auch nicht aufschreiben und versteht es im schlimmsten Fall auch nicht. Die Dysarthrie dagegen ist eine Sprechstörung. „Diese Patienten verstehen genau, was gemeint ist, sie bekommen aber das Wort nicht raus. Aufschreiben, über eine Tastatur oder auch mit einem Stift, könnten sie es jedoch.“

In rund 80 Prozent der Fälle (bundesweit 50.000 Patienten pro Jahr) werde eine Aphasie durch einen Schlaganfall ausgelöst. „Der schlägt quasi direkt ins Sprachzentrum ein, das sich bei Rechtshändern zu 100 Prozent in der linken Gehirnhälfte befindet“, so der habilitierte Mediziner, der in Essen, Wien, Dublin und in den USA studiert hat und sich auch in seiner Freizeit am liebsten mit Sprache beschäftigt, also mit Literatur („am liebsten schön kompliziert, so wie Ulysses von James Joyce“).

Wie kann man Betroffenen helfen?

Auch Demenz oder Hirnentzündungen könnten zu Sprachverlust führen. Eine Sprechstörung dagegen werde oft durch Multiple Sklerose oder Parkinson ausgelöst. „Die Sprache ist verwaschen, monoton. Den Patienten gelingt es nicht mehr, Emotionen über Sprache zu transportieren.“

Wie kann den Betroffenen geholfen werden? „Durch Logopädie“, sagt der Chefarzt, der seit zehn Jahren als Ärztlicher Leiter der Berufsfachschule für Logopädie an der Medizinischen Akademie Hamburg vorsteht. „Nach einem Schlaganfall sind die Logopäden sofort am Bett des Patienten, sie sind die Spezialisten für Sprache und in dem Moment viel besser als wir Ärzte.“

"Die Sprache zurückzugewinnen, ist ein mühsamer Weg"

In einer rund 30-minütigen Diagnostik würden sie herausfinden, ob und wie das Sprachzentrum betroffen sei. Auch nach der Entlassung sei es notwendig, dass die Patienten regelmäßig mit den Logopäden, aber auch zuhause, übten. „Da geht es nicht um komplexe Sätze, sondern um Alltagssituationen. Wir wollen die Patienten wieder zu sozialer Teilhabe ermächtigen“, so der Vater zweier erwachsener Kinder. Sonst drohe Vereinsamung.

„Die Sprache zurückzugewinnen, ist ein mühsamer Weg. Aber aus der Forschung wissen wir, dass Hirnareale, die bisher keine sprachlichen Funktionen hatten, Aufgaben der geschädigten Region übernehmen können.“ Grundsätzlich seien die Betroffenen einer logopädischen Behandlung gegenüber in der Regel sehr aufgeschlossen. „Es wird kein Blut abgenommen, es gibt keine Spritze und der Erfolg ist oft schnell hörbar - das hilft.“

Sprech- und Sprachstörungen: Wie sollen sich Angehörige verhalten?

Doch wie sollten Angehörige damit umgehen, dass sie einen geliebten Menschen plötzlich nicht mehr verstehen, sich nicht mehr mit ihm unterhalten können? „Das ist eine absolut große Herausforderung“, sagt der Neurologe und rät zu Geduld.

„Für den Betroffenen ist das ja schon schwierig genug. Er ist ja nicht plötzlich verblödet, er kann sich nur krankheitsbedingt nicht mehr ausdrücken.“ Man selbst solle „klar, langsam und deutlich“ sprechen. „Und fragen Sie nicht: Willst du Tee oder Kaffee? Fragen Sie: Willst du einen Tee?“ Ja oder nein, das sei am leichtesten zu kommunizieren.