Hamburg. Viele Beschwerden sind psychosomatisch bedingt – doch das wird oft nicht erkannt. Was zu tun ist, wenn die Seele leidet.

Was haben Schlaflosigkeit, Schwindel, Herzrasen, Rückenschmerzen, aber auch Migräne und Durchfall gemein? Es sind alles Beschwerden, die psychosomatisch bedingt sein können und bei fast einem Drittel der Betroffenen auch tatsächlich seelische Ursachen haben.

„Dennoch ist es leider immer noch ein typisches Pro­blem, dass der Arzt zunächst nur auf die objektivierbaren Symptome guckt, körperlich nichts feststellt und dann zu dem Schluss kommt: Da ist nichts“, sagt Dr. Goetz Broszeit in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

In den 1990er-Jahren habe es eine Studie gegeben, wonach es im Schnitt sieben Jahre dauerte, bis sich ein Patient bei einem Psychosomatiker vorstelle. „So lange dauert es wohl heute nicht mehr, weil psychische Stressfaktoren vielleicht zwar noch nicht ausreichend, aber doch etwas früher berücksichtigt werden“, sagt der Chefarzt vom Asklepios Westklinikum in Rissen.

Psychosomatik: Trennung von Körper und Seele ist „rein akademisch“

„Die Trennung von Körper und Seele ist rein akademisch“, sagt der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. „In 4000 Jahren Forschung hat es nicht einen einzigen Befund gegeben, mit dem man die Psyche objektivierbar ausmessen könnte. Und das macht es so schwierig, mit ihr umzugehen.“

Dabei kenne jeder Mensch aus dem Alltag das Zusammenspiel von Körper und Seele. „Wenn wir aufgeregt sind, ist auch unser Nervensystem aktiver. Die Folge kann sein, dass man häufiger zur Toilette muss, im schlimmsten Fall Durchfall hat.“ Das sei dann Psychosomatik – aber noch keine Krankheit. „Wenn Sie aber plötzlich jeden Tag Durchfall haben, dann sollten Sie einen Arzt aufsuchen.“

Frauen kommen häufiger zur Behandlung – sind sie auch häufiger betroffen?

Zu ihm in die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (84 Betten, 63 Plätze in der Tagesklinik in Rissen und Winterhude) kämen derzeit vor allem Patienten mit „allen möglichen Erschöpfungssyndromen“ – passend zu unserer schnelllebigen Zeit und den Anforderungen der Arbeitswelt wie Dauererreichbarkeit. „Die Betroffenen fühlen sich kraftlos und so, als sei ihnen der Stecker gezogen worden“, sagt der ausgebildete Psychoanalytiker. „Anders als bei einer klassischen Depression ist die Stimmung dabei zunächst noch ganz gut.“

Sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen? „Wenn ich nur nach der Statistik ginge, dann müsste ich sagen, dass es häufiger Frauen trifft, denn drei Viertel der Patienten sind weiblich. Aber sich überhaupt in Behandlung zu begeben, das hängt natürlich stark von der Bereitschaft ab, ein Problem mithilfe von Therapie anzugehen.“

Manche brauchen "erst einmal ein Jahr Auszeit"

Dass einzig der Betroffene selbst entscheide, ob er krank sei, das möge er an seinem Fachgebiet besonders, sagt der Arzt, der vor seinem Wechsel in die Psychosomatik zehn Jahre lang in der Notfall- und Intensivmedizin tätig war. „Zu mir kommen Menschen, die seit Monaten kein Auge zugemacht haben, aber auch welche, die nur zwei Nächte hintereinander nicht geschlafen haben.“ Der individuelle Leidensdruck entscheide, wann der Arzt aufgesucht werde.

Viele würden ihn dann fragen: „Aber in vier Wochen, Herr Dr. Broszeit, da bin ich dann doch wieder der Alte, oder?“ Doch es gebe kein Zurück. „Manchen muss ich dann auch sagen: Ich glaube, Sie sollten erst einmal ein Jahr Auszeit nehmen.“ Wie lange eine erfolgreiche Therapie in der Klinik dauere, hänge davon ab, wie schnell es gelinge, die Selbstheilungskräfte in Gang zu setzen.

Für den Patienten funktioniert die Station wie ein Gips

„Der Chirurg legt dem Patienten zur Stabilisierung einen Gips an. Dieser Gips ist bei uns der schützende Raum der Station.“ So könne es sein, dass beispielsweise Paniksymptome in der Klinik schnell verschwänden. „Zurück im Alltag können sie dann aber wieder auftauchen.“

Grundsätzlich empfiehlt der dreifache Vater, der in seiner Freizeit gern Motorrad fährt („einfach mal durch die Gegend gleiten und den Gedanken nachhängen“), präventiv eine stärke Abgrenzung: „Zu viel Ja sagen macht krank. Und es ist auch ganz heilsam, das Handy mal nicht nur auf lautlos zu stellen, sondern ganz auszuschalten.“