Hamburg. Am Asklepios Klinikum Harburg setzt eine neue Spezialistin auch auf „Wach-Operationen“. Warum diese Methode sinnvoll sein kann.

Ein Tumor, womöglich noch bösartig, im Gehirn? Das ist wohl für jeden Patienten die größtmögliche Schockdiagnose. Ein Eingriff am Kopf, vielleicht sogar als Wach-OP? Für die meisten Patienten vermutlich ein Szenario des Schreckens. „Das verstehe ich natürlich, aber tatsächlich braucht man keine Angst zu haben“, sagt Privatdozentin Dr. Angelika Gutenberg in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“, dem erfolgreichen Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios.

„Die Neurochirurgie hat sich in den vergangenen Jahren technisch, methodisch und dadurch eben auch in der Patientensicherheit herausragend entwickelt.“ Das Risiko, von einem Eingriff einen neurologischen Schaden davonzutragen, liege heutzutage bei weniger als drei Prozent. Erst vor knapp vier Wochen ist die habilitierte Neurochirurgin, die als Stipendiatin an der berühmten Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) geforscht hat, von der Universitätsklinik Mainz an das Asklepios Klinikum Harburg gewechselt, leitet dort die neue Sektion für „Kranielle Neurochirurgie“: Die Spezialistin, die neuartige Operationsverfahren beherrscht, wird Patienten mit großen, schwierig gelegenen Hirntumoren behandeln.

Mehr als 100 verschiedene primäre Hirntumor-Arten

Das Fachgebiet, traditionell männerdominiert, zählt zu den kompliziertesten: Es gibt allein mehr als 100 verschiedene primäre Hirntumor-Arten – und dazu zählen keine Metastasen, also Tochtergeschwülste unterschiedlicher Krebserkrankungen, die bis ins Gehirn gestreut haben können. Die häufigsten hirneigenen Tumore seien die Gliome, die von den Stützzellen des Gehirns ausgehen. „Zwei Drittel der Hirntumore sind gutartig“, sagt Dr. Angelika Gutenberg. „Allerdings können sich auch Gliome durch ihre Lage und ihr Wachstum bösartig verhalten.“

Doch was ist überhaupt die Ursache für einen Hirntumor? „Es handelt sich um Zellmutationen, viel mehr weiß man eigentlich noch nicht“, so die gebürtige Oberhausenerin. Bekannt sei nur, dass Strahlung eine Rolle spielt. „Das hat man zum Beispiel nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl gesehen – in den folgenden 30 Jahren gab es eine Häufung von Hirntumoren.“ Dass elektromagnetische Wellen, wie sie von Mobiltelefonen ausgehen, das Risiko erhöhen, sei wissenschaftlich widerlegt. „Diese Studien sind zwar schon ein paar Jahre alt, das neue 5G-Netzwerk wurde also noch nicht evaluiert, aber ich habe mein Handy auch nachts neben dem Bett.“

Die Symptome eines Hirntumors sind sehr unspezifisch

Grundsätzlich gebe es zwei „Altersgipfel“ für Hirntumore: bei Kindern zwischen dem dritten und zwölften Lebensjahr und bei älteren Menschen ab 60. Die Symptome seien leider „sehr unspezifisch“, was das Erkennen erschwere. „Kopfschmerzen, gerade morgens, können ein Hinweis sein. Übelkeit, Erbrechen und auch Sehstörungen, ausgehend von dem Hirndruck, den der Tumor produziert, können ebenfalls Symptome sein“, so die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. In den meisten Fällen rührten die Beschwerden dann zum Glück doch nicht von einem Tumor, aber abklären lassen sollte es der Betroffene doch, wenn die Schmerzen über mehrere Tage anhalten.

In der Behandlung gebe es für sie als Neurochirurgin immer zwei Optionen: „Operieren oder nicht operieren – das ist hier die Frage.“ Zunächst versuche man, einen Eingriff zu vermeiden. Manchmal, bei sehr langsam wachsenden Tumoren, die sich über Jahre kaum verändern und keine Beschwerden verursachen, reiche es aus, engmaschig zu kontrollieren.

„Wach-Operationen“ am Gehirn künftig auch in Hamburg

„Wir wägen immer ab zwischen dem Risiko einer Operation und dem Schaden, den der Tumor künftig anrichten könnte“, so Dr. Gutenberg, deren Vater schon Chirurg war und deren Tochter im Herbst ein Medizinstudium aufnimmt. Auch große Tumoren ließen sich mittlerweile gut entfernen und die Heilungschancen bei Metastasen im Hirn – früher oft fast ein Todesurteil – seien sehr gut. „Die Immuntherapie hat sehr große Fortschritte gemacht.“

Eine innovative Methode, die künftig auch in Harburg angeboten wird, sind die sogenannten „Wach-Operationen“ am Hirn. „Das ist sinnvoll, um das Sprachzentrum, das wir eben leider nicht elektrophysiologisch überwachen können, zu schützen“, erklärt die Spezialistin. Bei Schnitten und wenn der Schädel geöffnet werde, schlafe der Patient selbstverständlich. „Zur eigentlichen OP – das Gehirn spürt übrigens keinen Schmerz – ist er dann aber wach, und ein Logopäde ist im OP-Saal dabei und übt parallel mit dem Patienten.“ Natürlich hätten viele Patienten zunächst Vorbehalte. „Deshalb ist es mir wichtig, den Patienten optimal aufzuklären und die Sinnhaftigkeit der Methode zu erklären.“ Für Dr. Gutenberg eine Herzensangelegenheit – im Kontakt mit den Patienten und auch in dieser neuen Podcast-Folge.

Die digitale Sprechstunde

„Die digitale Sprechstunde“ ist die erfolgreiche Gesundheits-Gesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche erklärt ein Experte im Gespräch mit Vanessa Seifert ein Krankheitsbild und gibt Auskunft über Vorsorge und Möglichkeiten der Therapie. Diese Folge und alle bisher veröffentlichten Episoden hören Sie auf www.abendblatt.de/ digitale-sprechstunde/

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