Hamburg. Der Fall Yagmur: Im Podcast geht es um einen äußerst schweren Fall von Kindesmisshandlung in Hamburg, der schließlich tödlich endet.

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Sie war ein Mädchen, das gerade mal drei Jahre alt werden durfte. Sie war chancenlos und wehrlos. Der Fall des Mädchens Yagmur, das Ende 2013 in der Wohnung seiner Eltern gestorben ist, hat Hamburg erschüttert. Er hat in besonders dramatischer Weise das Ausgeliefertsein eines Kindes gegenüber den Menschen gezeigt, die es eigentlich lieben sollten und vor allem Übel beschützen.

„Zum Schluss“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher über das Kind, „ist Yagmur einfach zusammengebrochen. Und sie hat sehr, sehr gelitten.“

Wie konnte es dazu kommen? Schon der Start des Mädchens ins Leben ist überschattet. Die Eltern geben ihre Tochter direkt nach deren Geburt in behördliche Pflege. Yagmur kommt zu einer Pflegemutter, die sich liebevoll um das Mädchen kümmert. Von Beginn an ist es jedoch das Ziel der Behörden, dass das Kind sobald wie möglich zu den leiblichen Eltern zurückkommen soll.

Wie konnte es dazu kommen?

Nach den Aufenthalten bei Mutter und Vater fallen der Pflegemutter zunehmend Verletzungen an dem Kind auf. Doch die Mutter hat immer wieder scheinbar plausible Erklärungen für die Hämatome und Schürfwunden. Yagmur sei gefallen und in der Badewanne ausgeglitten, behauptet sie. Ende 2012 wird das Mädchen innerhalb weniger Wochen zweimal schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Beim ersten Mal hat es eine Verletzung der Bauchspeicheldrüse, später dann eine potenziell lebensgefährliche Hirnblutung. Bei derartigen Verletzungen bestehe der Verdacht auf Misshandlung, betont Püschel. Yagmur wird von den Behörden für Monate in einem Kinderschutzhaus untergebracht.

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© picture alliance

Doch schließlich kommt die damals Zweijährige zurück zu den Eltern. Ihre Mutter meldet sie vom Kindergarten ab. Nun ist Yagmur überwiegend allein mit der Mutter. Der Vater arbeitet viel. Mehreren Menschen im Umfeld des Kindes fallen jetzt wiederholt Hämatome auf; an ihrem dritten Geburtstag im Oktober trägt das Mädchen an einem Arm einen Verband.

Was zu dem Zeitpunkt niemand ahnt: Yagmur hat einen Ellbogenbruch, der nicht ärztlich behandelt wird. Danach hat sich die Gewalt gegen ihre Tochter immer weiter gesteigert. Bis das Kind eines frühen Morgens im Wohnzimmer seiner Eltern zusammenbricht und stirbt. Die Mutter versucht, die Verletzungen ihrer Tochter zu kaschieren. Sie überschminkt die Hämatome. Rechtsmediziner Püschel hat das kleine Mädchen obduziert. Was er feststellen muss: Es gibt allein 83 äußere Verletzungen, darüber hinaus unter anderem Knochenbrüche und Organverletzungen.

„Sie hat ihre Tochter grausam getötet“

Schließlich wird gegen Yagmurs Mutter Anklage wegen Mordes erhoben, der Vater muss sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vor Gericht verantworten. Der Prozess gegen die Eltern, über den das Autoren-Duo auch in seinem Buch „Tote schweigen nicht“ berichtet, dauert fünf Monate.

„Beim Vater wurde anhand von Zeugenaussagen deutlich, dass er seine Tochter zwar geliebt hat und sich Gedanken darüber gemacht hat, wie er sein Kind schützen könne“, erzählt Mittel­acher. „Aber auch, dass er letztlich nichts unternommen hat, um dies wirklich zu tun.“ Bei den zuständigen Behörden hat es immer wieder Kommunikations­probleme gegeben, sodass Yagmur gewissermaßen durch die Maschen eines Netzes gerutscht ist.

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In der mündlichen Urteilsbegründung gegen die Eltern spricht der Vorsitzende Richter später von „Versäumnissen und Fehlentscheidungen“, die vorgelegen hätten, zudem seien „Unzulänglichkeiten zutage getreten“. Letztlich lautet das Urteil für die Mutter auf lebenslange Haft wegen Mordes. Yagmurs Vater erhält viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe.

Der Richter sagt in der Urteilsbegründung, die Kammer habe „immer vor Augen gehabt, in welchem Ausmaß Yagmur gelitten hat“. Der Richter weiter: „In den letzten zwei Wochen vor ihrem Tod gab es keinen Tag, an dem Yagmur nicht unter starken Schmerzen und Qualen gelitten hat.“ Die Mutter habe sich des Mordes schuldig gemacht. „Sie hat ihre Tochter grausam getötet.“

"Er überließ seine Tochter seiner hochaggressiven Frau"

Der Kammervorsitzende formuliert weiter: Die Mutter habe „dem Tod Yagmurs gleichgültig gegenübergestanden“. Es gebe aber keine Anhaltspunkte, dass der Vater die Tochter gequält habe. Vielmehr sei er liebevoll mit ihr umgegangen, aber: „Er überließ seine Tochter seiner hochaggressiven Frau.“

Der Vater habe „Handlungsmöglichkeiten“ gehabt. Doch anstatt wirklich einmal aktiv zu werden, habe er „auf das Prinzip Hoffnung gesetzt“, dass es nicht zum Tod kommen werde. Dabei wäre hier ein „entschlossenes Handeln notwendig gewesen“.