Lotto macht Spaß – und manche reich. Doch Suchtexperten warnen: Lotto kann süchtig machen.

Hamburg. Die Summe ist schwindelerregend: 37,6 Millionen Euro aus Deutschlands Rekord-Jackpot gehen nach Nordrhein-Westfalen. Vorausgegangen war ein unglaublicher Ansturm auf die Lottoannahmestellen: Rein statistisch hat bundesweit jeder zweite Erwachsene getippt. Doch so groß die Lotto-Begeisterung unter den Bundesbürgern ist, so skeptisch betrachten Suchtexperten das jüngste Lotto-Fieber. Rekordsummen im Jackpot halten sie für gefährlich und rechtlich umstritten. Denn Lotto kann süchtig machen. Das wissen auch die Bundesländer, die aus Sorge um ihr profitables staatliches Wettmonopol laut Medienberichten offenbar handeln wollen.

Dass die Bundesbürger nun reihenweise der Lotto-Sucht verfallen, erwaretet Jörg Petry, Vorstandsmitglied im Fachverband Glücksspielsucht, zwar nicht. "Aber es gibt Leute, die in den Strudel hineingezogen werden könnten", warnt er. Seiner Ansicht nach wird mit der steigenden Zahl der Spieler auch die Zahl der Süchtigen ansteigen. Und dass die Jagd auf den Sechser abhängig machen kann, hat der Psychologe einer Klinik für Spielsüchtige im saarländischen Münchwies häufig erfahren.

Vor allem die Meldungen über immer neue Rekordsummen sieht Petry mit Besorgnis. "Ein solcher Jackpot heizt Illusionen an", weiß er. Viele Tipper, insbesondere mit kleinem Geldbeutel und geringem Selbstwertgefühl, ließen sich von der Aussicht auf ein vermeintlich sorgloses Leben ohne Alltagsstress verlocken und manchmal gefangen nehmen. Vor lauter Wunschdenken werde dann völlig verdrängt, dass die Wahrscheinlichkeit auf einen Jackpot-Gewinn nur bei etwa eins zu 140 Millionen liegt.

Auch Gudrun Plaumann, Therapeutin für Spielsucht beim Diakonischen Werk in Herford, weiß um die Gefahren des Lottos. Meist fängt es harmlos an - wie bei einem Klienten, der kürzlich in ihre Sprechstunde kam. Für seine Eltern brachte dieser schon als Zwölfjähriger die Lottscheine zur Annahmestelle. Später spielte er selbst, zunächst ein bisschen, dann als "Systemspieler" immer mehr. Irgendwann unterschlug der Buchhalter Firmengelder, um seine Lotto-Sucht befriedigen zu können, wurde erwischt und vor die Tür gesetzt.

Zwar machten die Lotto-Süchtigen im vergangenen Jahr nur rund 1,5 Prozent der Klienten in Plaumanns Sprechstunde aus. Vor allem die lange Wartezeit zwischen Einsatz und Bekanntgabe der Gewinnzahlen macht Lotto im Vergleich zu Glücksspielautomaten oder Roulette nicht zum klassischen Zocker-Spiel. Trotzdem könne Lotto zu einer Art Einstiegsdroge werden und den Weg in die Spielsucht ebnen, weiß die Expertin. "Es wird aber oft als eine Art Gesellschaftssport verharmlost." Für einen Rekord-Jackpot überziehe mancher sogar sein Konto oder borge sich Geld, um den großen Lotto-Traum wahr werden zu lassen. Für abstinente Spielsüchtige berge eine solche Verlockung eine Rückfallgefahr.

Petry hält den Rekord-Jackpot auch rechtlich für bedenklich. "Meiner Ansicht nach sollte der Jackpot ganz abgeschafft werden", sagt der Suchtexperte. Er verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März, worin der Staat aufgefordert worden war, der Bekämpfung von Wettsucht Vorrang einzuräumen. "Mit dem Jackpot passiert aber genau das Gegenteil - das Glücksspielen wird noch angeheizt", beklagt Petry.

Auch die Bundesländer sind aufgeschreckt. Um ihr staatliches Wettmonopol zu retten, wollen sie laut einem "Spiegel"-Bericht die bisherigen Lottospiele erheblich einschränken. Vorgesehen sei unter anderem, die Jackpots zu beschränken, berichtete das Magazin unter Berufung auf den Entwurf einer Novelle des "Staatsvertrags zum Glücksspielwesen". Demnach könnte mit der Jagd auf Rekordsummen im Jackpot irgendwann Schluss sein.