Der neue Bundestag hat am Dienstag seine Arbeit aufgenommen und den CDU-Abgeordneten Norbert Lammert zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Lammert ist damit nach Bundespräsident Horst Köhler protokollarisch der zweite Mann im Staate.

Berlin. Er betonte in seiner Antrittsrede die Bedeutung und das Selbstbewußtsein des Parlaments. Union und SPD setzten gegen die Stimmen aller Oppositionsparteien durch, daß Lammert insgesamt sechs Vizepräsidenten zur Seite stehen, davon zwei von der SPD.

Lammert erhielt mit 93,1 Prozent der Stimmen das zweitbeste Ergebnis seit 1949. Hermann Ehlers kam 1953 auf 93,2 Prozent. Um die Zahl der Vizepräsidenten gab es danach eine erregte Debatte. Union und SPD setzten aber durch, erstmals sechs statt bisher fünf Vizepräsidenten einzusetzen. Beide hatten in den Vorgesprächen zur großen Koalition ausgehandelt, daß die SPD zwei Stellvertreter stellen darf. Die Opposition hatte dies für unnötig gehalten und die Kosten beklagt.

Lammert sagte nach seiner Wahl, er sei "überwältigt, geradezu erschüttert von dem Vertrauensvorschuß." Gerade angesichts der geplanten großen Koalition rief er die Abgeordneten zu Selbstbewußtsein auf. "Der Bundestag ist nicht Vollzugsorgan der Bundesregierung, sondern umgekehrt sein Auftraggeber", betonte der CDU-Politiker. Gleichzeitig forderte Lammert, der Politikverdrossenheit in Deutschland entgegenzuwirken. Weder Parteien, noch das Parlament seien auf "der Höhe ihres Ansehens", sagte er. "Das müssen wir ernst nehmen und aufarbeiten."

Auch der scheidende Innenminister Otto Schily, der die Sitzung als Alterspräsident eröffnete, äußerte sich ähnlich. "Einen nachhaltigen Legitimationsgewinn erreicht das Parlament nur durch einen sachorientierten, möglichst vorurteilsfreien, aufklärerischen und ehrlichen Debattenstil." Schily rief dazu auf, den Menschen in Deutschland wieder mehr Optimismus, Selbstvertrauen und die Gewißheit zu vermitteln, daß ihre Sorgen in angemessener Weise im Parlament zur Sprache gebracht und ihre Fragen beantwortet würden. Regierung und Opposition müßten gemeinsam zum Besten des Landes wirken.

Der 73-jährige Schily eröffnete nach 2002 zum zweiten Mal eine konstituierende Sitzung des Bundestags. Der 16. Bundestag hat insgesamt 614 Abgeordnete, elf mehr als der 15. Statistisch gesehen ändert sich sonst wenig. Der Durchschnittsabgeordnete ist nach wie vor 49,3 Jahre alt und männlich. Der Frauenanteil verringerte sich minimal von 32,2 Prozent auf nun 31,8 Prozent.

Die größte Fraktion ist die CDU/CSU mit 226 Abgeordneten. Die SPD hat 222 Sitze. Größte Oppositionsfraktion ist die FDP mit 61 Mandaten. Die Linkspartei stellt 54 Abgeordnete, die Grünen 51.

Lammert schlug in seiner Rede auch vor, die Aufgaben des Bundestagspräsidenten zu überdenken, vor allem im Zusammenhang mit der Überwachung der Parteienfinanzierung. Die Regeln seien gut gemeint. Aber die Tatsache, daß der Bundestagspräsident nach Verstößen auch Sanktionen gegen einzelne Parteien verhängen solle, setze ihn dem Verdacht der Befangenheit aus.

Auch bei den vom Bundestag selbst vereinbarten Verhaltensregeln spreche "manches für einen zweiten, ruhigen Blick und Nachjustierung sowohl von Lücken als auch von Übertreibung". Der Präsident sei erster Repräsentant, aber nicht Dienstvorgesetzter seiner Kollegen.