Hamburg. Hamburg entgehen so Millionen. Immobilienfirmen können sich über Schlupflöcher freuen. Von Abendblatt und Correctiv.

160 Euro pro Tag sind ein stolzer Preis für ein Appartement von 60 Quadratmetern. Das wären rund 4800 Euro im Monat. Von außen wirkt das mehrstöckige Wohnhaus in Harvestehude unscheinbar. Der Vermieter bietet hier einen Rund-um-Service für Kurzzeitmieter an, eine Art Apartment-Hotel. Während der Eigentümer mit seinen Wohnungen gutes Geld verdient, konnte er ganz legal die Grunderwerbsteuer beim Kauf des Hauses sparen. Der Stadt Hamburg entgingen mindestens 300.000 Euro.

Möglich ist das, weil für Unternehmen auf dem Immobilienmarkt andere Regeln gelten als für Privatpersonen. Während jeder, der privat eine Wohnung kauft, Grunderwerbsteuer zahlen muss, sparen Unternehmen durch einen ganz legalen Trick geschätzt eine Milliarde Euro an Grunderwerbsteuern pro Jahr.

Share deal: Keine Grunderwerbssteuer

Im Jahr 2015 erwarb zunächst eine Luxemburger Firma das Appartement-Haus für 6,8 Millionen Euro und berichtete auf ihrer Webseite, dass der Kauf über einen „Share Deal“ abgelaufen sei. Sie kaufte nicht das Haus, sondern Anteile an einem Unternehmen, dem das Haus gehört. Zwei Jahre später wurde das Haus erneut verkauft. Wieder durch einen Share Deal. Die Käufer mussten nachweislich keine Grunderwerbsteuern zahlen.

Die Große Koalition hatte nach der Bundestagswahl versprochen, das Schlupfloch zu schließen. Das wird sie nicht schaffen. Kürzlich stellte eine Arbeitsgruppe der Finanzminister der Länder und des Bunds ihren Vorschlag für eine kleine Reform in Berlin vor. Sie will die Zahl der steuerfreien Immobiliendeals wenigstens verringern. „Wir haben eine praktikable Lösung gefunden, die Steuervermeidung bei Immobilienkäufen zu erschweren“, sagt die Finanzministerin aus Schleswig Holstein, Monika Heinold (Grüne). Sie stellt sich hinter den Kompromiss, der vor allem der Angst der Länder geschuldet ist, dass die Grunderwerbsteuer sonst vielleicht ganz auf den Bund übergegangen wäre.

Vor allem Vertreter ihrer Partei und selbst Eigentümerverbände hatten härtere Schritte gefordert. „Die Anpassungen sind ein Tropfen auf den heißen Stein und werden das Problem der Share Deals auf absehbare Zeit nicht lösen“, sagt die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lisa Paus.

Unternehmen können Steuern vermeiden

Dem Staat entgehen nach Schätzungen des hessischen Finanzministeriums pro Jahr Steuern in Höhe von etwa einer Milliarde Euro. Wie viele Millionen Euro die Stadt Hamburg verliert, kann die Finanzbehörde auf Anfrage nicht beziffern, weil die Share-Deal-Verkäufe nicht erfasst werden. Geschätzt wird, dass bis zu ein Drittel aller Immobilienverkäufe in Großstädten per Share Deal abgewickelt wird. Es sind Millionenbeträge, die der Stadt für Investitionen fehlen.

Auch deshalb ist Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nicht zufrieden, obwohl er den Kompromissvorschlag mitträgt, der garantieren soll, dass die Kommunen die Grunderwerbsteuer nicht an den Bund verlieren: „Ein Gesetz gegen Share Deals, das in Karls­ruhe scheitert, nützt niemandem und auch nicht dem Gerechtigkeitsempfinden der übrigen Steuerzahler.“ Für Dressel ist der Vorschlag „ein Zwischenschritt und kein Schlusspunkt. Gerade aus Metropolensicht werden wir ausloten, welche weiteren Maßnahmen verfassungsrechtlich machbar und praktisch durchführbar sind.“

Jeder, der privat ein Eigenheim kauft, wird unmittelbar vom Finanzamt aufgefordert, Grunderwerbsteuer zu zahlen. In Hamburg sind das 4,5 Prozent des Kaufpreises. Anders ist es für Unternehmen, die im großen Stil Immobilien kaufen. Sie können die Steuer leicht vermeiden, indem sie nicht Eigentümer des Hauses werden, sondern die Anteile der Firma kaufen, der das Haus gehört.

Bei großen Deals wird ein Haus einfach in eine Firma umgewandelt. Der Ankauf von weniger als 95 Prozent der Firmenanteile ist steuerfrei. Branchenkenner berichten, dass der Preis der Immobilie dadurch nicht viel billiger wird, sondern der Käufer einen Teil der eingesparten Steuern direkt an den Verkäufer zahlt.

Mit dem Steuerprivileg sollte ursprünglich vermieden werden, dass ein Käufer eines produzierenden Unternehmens auch noch Grunderwerbsteuern auf alle dazugehörenden Gebäude zahlen muss. Seit einigen Jahren nutzen aber auch Immobilienfirmen die Möglichkeit in großem Stil. Oft werden Firmen nur zu dem Zweck gegründet, um eine Immobilie steuerfrei zu übertragen. Sie werden zu 94,9 Prozent von einem Unternehmen gekauft, die übrigen 5,1 Prozent bleiben entweder beim Verkäufer, oder ein drittes Unternehmen erwirbt den Restanteil.

Zu diesen Anteilen wurde auch das Appartementhaus in Harvestehude 2017 verkauft. Die Käufer mussten der Stadt Hamburg somit keine Steuern beim Kauf zahlen.

„Würde die Grunderwerbsteuer nur zwei Prozent wie vor 18 Jahren betragen, würden viele Investoren den direkten Erwerb der Immobilie und nicht der Gesellschaft bevorzugen“, sagt Axel Wittlinger, Vorsitzender des Immobilienverbands Deutschland.

Ein weiteres Problem der Share Deals ist die Intransparenz der Eigentümer. Im Grundbuch bleibt der Eigentümer eingetragen, der das Haus in Geschäftsanteile umgewandelt und verkauft hat. Der neue Eigentümer wird nicht eingetragen, weil er nicht das Haus, sondern die Firma erwirbt. Bei weiteren Verkäufen wird es noch undurchsichtiger. Für Mieter ist nicht erkennbar, welche Eigentümer hinter den Firmenkonstrukten stecken.

Einfallstor für Geldwäsche

Auch für die Behörden ist nicht zu sehen, wer die wahren Eigentümer sind, weil bei Share Deals der Verkauf nicht vom Grundbuchamt erfasst wird. Das kann ein Einfallstor für Geldwäsche sein. Die Bundesregierung teilte zuletzt mit, dass es eine hohe Dunkelziffer von „Geldwäscheaktivitäten mittels Investitionen in Immobilien“ gebe.

Die Grünen kritisieren seit Langem, dass Unternehmen auf Kosten der Bürger Steuern vermeiden: „Es kann nicht sein, dass einige wenige große Investoren Steuerschlupflöcher nutzen und so die Grunderwerbsteuer umgehen, während Otto Normal brav seine Steuern zahlt“, so die Abgeordnete Paus.

Auch im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD ausdrücklich vereinbart, eine neue Regelung zu finden, „um missbräuchliche Steuergestaltungen bei der Grunderwerbsteuer mittels Share Deals zu beenden.“

Selbst große Immobilienverbände zeigten sich zuletzt einer Reform aufgeschlossen gegenüber. Der Vorsitzende des Grundeigentümerverbands Hamburg, Torsten Flomm, sagte, dass es Sinn ergebe, „darüber nachzudenken, ob nicht die Grenze für die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer von fünf Prozent auf 25 Prozent der Geschäftsanteile angehoben wird.“

Flomm schlägt sogar eine volle Besteuerung von Immobilienfirmen vor, wenn man die „Grunderwerbsteuerpflicht an ei- ner Quote des Grund­be- sitzwerts am Gesellschaftsvermögen festmacht“. Also, wenn klar ist, dass der Verkauf nur um die Immobilie geht, soll der volle Steuersatz gelten. Seine Offenheit gegenüber einer Reform hat auch damit zu tun, dass sein Verband sowohl Immobilienunternehmen als auch Privateigentümer vertritt.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Warum schafft die Politik die Regelung nicht einfach ab? Das liege auch an verfassungsrechtlichen Bedenken, heißt es aus dem Kreis der Finanz­minister. Schon 2016 hatten die Finanzminister von Hessen und Nordrhein-Westfalen die Arbeitsgruppe des Bunds und der Länder eingesetzt, um eine Reform vorzubereiten, die von vornherein komplex war. Denn eine Abschaffung des Privilegs für die Unternehmen hätte dazu führen können, dass die Zuständigkeit der Grunderwerbsteuer von den Ländern auf den Bund übergeht. Damit wäre den Ländern eine ihrer Haupteinnahmequellen entgangen. Um das zu vermeiden, wurde jahrelang nach Lösungen gesucht.

Künftig soll bei einem Verkauf im Wege eines Share Deals der Verkäufer und nicht der Käufer die Grunderwerbsteuer tragen. Die Minister erhoffen sich, dass dadurch mehr Share Deals steuerpflichtig werden, weil Verkäufer eher alle Anteile verkaufen.

Zudem sollen Firmen Steuern künftig schon zahlen, wenn sie 90 Prozent Geschäftsanteile an einem Haus erwerben. Bisher lag die Quote bei 95 Prozent. „Unsere Reform ist weniger symbolträchtig, aber sie wird direkte Effekte haben.“ Sie soll dieses Jahr umgesetzt werden. Die Minister konnten sich nicht darauf einigen, dass Share Deals den Behörden wenigstens angezeigt werden müssen, wenn sie schon nicht in den Grundbüchern auftauchen. Falls sich der derzeitige Eigentümer des Appartementhauses in Harvestehude entschließen sollte zu verkaufen, könnte es für ihn künftig etwas aufwendiger werden, die Grunderwerbsteuern zu umgehen. Unmöglich ist es nicht.