Stellen wir uns doch einfach mal vor, dass zwei Männer in den besten Jahren – ehemalige Schulfreunde zum Beispiel oder gemeinsam Wehrpflichtige oder Ex-Kollegen oder Ex-Nachbarn – sich nach langer Zeit irgendwo zufällig treffen. Nehmen wir außerdem an, dass die beiden zwar gleich alt sind, aber über zwei vollkommen unterschiedliche Staturen verfügen – der eine ist schlank, der andere dagegen ist wohlbeleibt. Ahnen Sie vielleicht, welchen Satz der schlankere von beiden bei 99 Prozent aller solchen Aufeinandertreffen sofort nach der Begrüßung sagt? Ganz genau: „Du bist aber dick geworden.“ Oder: „Mensch, hast du vielleicht zugelegt ...“ Oder so ähnlich.

Diese nicht zuletzt häufig verletzende Reduktion auf das äußere Erscheinungsbild ist die eine Sache. Die andere überwiegt jedoch, nämlich, dass Männer evolutionsbedingt ihr Haben und ihr Sein ununterbrochen mit dem des oder der anderen vergleichen und bewerten müssen, stets unüberhörbar und manchmal auch geschlechterübergreifend - wenn beispielsweise zwei schwabbelnde 130-Kilo-Kolosse am Strand, die Bierdose in der Hand, dröhnend über einen marginal außer Form geratenen Bikini-Popo einer jungen Schönheit ablästern, bei der sie selbstverständlich niemals landen würden: „Die sollte mal dringend Sport machen, denn mal Prost, Manni!“

Und nun stellen wir uns mal vor, dass sich zwei Frauen nach vielen Jahren unter denselben Gegebenheiten zufällig treffen wie die oben erwähnten Herren der Schöpfung. Die eine ist schlank, die andere vollschlank. Aber keine von beiden würde es jemals wagen, die Veränderungen im Erscheinungsbild der jeweils anderen offen anzusprechen. Denn Frauen fallen nun mal im Gegensatz zu Männern nicht mit der Tür ins Haus. Viel lieber gehen sie mit ihren sorgfältig gespeicherten Eindrücken nach dem Treffen in ihren Freundes- und Bekanntenkreisen hausieren. Im Ergebnis klingen die Beurteilungen zwar dann genauso gemein – aber das tut wenigstens nicht so weh.