Der öffentliche Personennahverkehr erfüllt längst viel mehr sinnvolle Aufgaben als bloß Menschen von A nach B – und das eventuell über C – zu transportieren. Nein, Busse und Bahnen dienen als Wärme- und Trinkhallen, Imbissbuden, Konzertbühnen, Kontaktbörsen – und manchmal eben auch als Badezimmer. Wie die Schnellbuslinie 34, die von der Lufthansa-Basis durch die ganze Stadt nach Kirchdorf-Süd fährt. In diesem Bus stieg an der Haltestelle Nedderfeld morgens um sieben eine adrette Dame ein, knapp über 30 und „businessmäßig“ gekleidet.

Sie kramt sofort einen Taschenspiegel und einen silbrig schimmernden Beutel aus ihrem voluminösen „Shopper“ heraus. In diesem Beutel befindet sich, wie wir in den nächsten Minuten beobachten können, die Komplettausstattung eines Schönheitssalons.

Nun ist es so, dass das Malen eines Gesichts zum einen viel Gefühl erfordert, zum anderen jedoch auch einen recht intimen Akt darstellt. In einem Schnellbus kommen erschwerend Körperbeherrschung sowie eine ruhige Hand hinzu. Doch obwohl der Bus mit ächzenden Stoßdämpfern durch den Berufsverkehr ruckelt, hat sie bereits am Eppendorfer Baum das Make-up perfekt aufgetragen, am Klosterstern kommt ein bisschen Rouge auf die hohen Wangenknochen, und in der Rothenbaumchaussee, in der Höhe des NDR etwa, leuchten bereits ihre Lippen in perfektem Kirschrot. Doch jetzt, kurz vorm Dammtor-Bahnhof, wartet die Königsdisziplin, der Dreikampf aus Lidschatten, Wimpern­tusche und Eyeliner, um die Augen erstrahlen zu lassen. Am Rathausmarkt hat sie es fast geschafft, und einige von uns, die sie die Fahrt über mit staunender Atemlosigkeit beobachtet haben, über­legen offenbar, der Dame für ihre Darbietung Applaus zu spenden.

Bis dann an der Mönckebergstraße ein Radfahrer die Vorfahrt missachtet und den Busfahrer zu einer Vollbremsung zwingt. Der schwarze Strich des Eyeliners ziert jetzt ihre rechte Wange bis zum Ohrläppchen. Aber sie schaut sich das Malheur in ihrem Taschenspiegel an und sagt lächelnd: „Beim nächsten Mal klappt das Finish. Wetten?“