Zur Höflichkeit, die wie ein Luftkissen die harten Stöße des Lebens abfedern kann (diese Erkenntnis wird unserem Lieblingsaphoristiker Arthur Schopenhauer zugeschrieben, aber das ist umstritten), gehörte – jedenfalls in der deutschen Sprache und bis eben noch – stets die korrekte Anrede. Vor allem dann, wenn wir zum ersten Mal einem Fremden gegenüberstanden, griffen wir selbstverständlich auf das „Sie“ zurück. Dasselbe galt auch, wenn wir Vorgesetzten, ganz gleich wo, begegneten.

Nur in den hippen und coolen Welten des Marketings und der Werbung sowie auf den Plattformen der sozialen Netzwerke wurde gefühlt schon immer beinahe ausnahmslos geduzt, und das ist weniger eine Frage des Alters, sondern es hat eher damit zu tun, dass es sich in Verbindung mit dem kumpelhaften Personalpronomen weitaus leichter pöbeln lässt.

Aber wie so häufig in der menschlichen Evolutionsgeschichte ist nun eine eherne Tradition zerbrochen: Das wird besonders deutlich, wenn du einem der geburtenstarken Jahrgänge aus den 60ern entstammst, denen Respekt und Anstand von den Eltern und Lehrern nicht selten regelrecht eingebläut wurden. Doch wenn du zukünftig im öffentlichen Leben wahr- und ernst genommen werden willst, musst du ganz schnell deine gute Kinderstube vergessen. Du solltest – ja, auch Fremde – konsequent duzen, um ihren verwunderten bis abfälligen Blicken zu entgehen, weil du die distanzierte Anrede „Sie“ verwendest!

Denn mal so ganz unter uns: Bist du wirklich so antiquiert? Willst du etwa im Abseits stehen? Willst du gar deine Generation 50 plus verraten? Nebenbei bemerkt hat das Du tatsächlich ein bisschen was mit dem Traum von der ewigen Jugend zu tun. Schließlich empfindest du es ja auch (noch) als Frechheit, wenn dir ein zuvorkommender Jungspund im Bus seinen Sitzplatz anbietet.