Ich befinde mich in einer schweren Identitätskrise. Ausgelöst wurde diese aber nicht etwa durch Haarverlust oder Gewichtszunahme – mit dem einen habe ich mich abgefunden, dem anderen versuche ich durch Maßnahmen der Selbstkasteiung (vulgo: Sport) zu begegnen –, sondern durch eine Polizeimeldung.

Wähnte ich mich bisher zuverlässig durch die Personenbeschreibung „südländisches Aussehen“ im allgemeinen Ansehen meiner Person vertreten, stutzte ich nun. War doch bei dem unbekannten Handtaschenräuber die Rede von einem „deutschen Erscheinungsbild“. Kann ich deutsch und südländisch gleichzeitig aussehen? Falls ja, dann können das auch andere Leute. Falls nein, was sagt das über unser Verständnis dessen, was „deutsch“ ist?

Damit Sie mein Dilemma besser verstehen: Ich bin so gebürtiger wie überzeugter Hamburger, spreche vernehmlich norddeutsch, bin 1,85 Meter groß, habe dunkle Haare, einen dunklen Bart und grün-graue Augen. In türkischen Gemüseläden werde ich zuverlässig auf Türkisch angesprochen, und in meiner Jugend wurde ich von Neonazis als „Kanake“ beschimpft. Dem Gegenargument, dass ich nicht nur im gleichen Krankenhaus wie Helmut Schmidt zur Welt gekommen, sondern allem Anschein nach auch des Deutschen deutlich besser mächtig bin als sie, waren die Herren erstaunlicherweise nur wenig zugänglich.

Gern würde ich mich auch im „deutschen Erscheinungsbild“ zu Hause fühlen, aber es gibt da ein Problem: Die erste Assoziation, die sich mir aufdrängt, ist Paul Celans „Todesfuge“: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland / Sein Auge ist blau.“ Das ist natürlich Unfug. Aber auch nicht blödsinniger, als beim „südländischen Erscheinungsbild“ sofort an als Flüchtlinge getarnte islamistische Terroristen zu denken.