Das wäre doch was: Slams an Uni-Seminaren. Eine Kostprobe gab es beim Wissenschaftlertreffen in Hamburg

Kürzlich trat im Rahmen des Historikertags in Hamburg eine Kunstform ins Rampenlicht, die bislang in der Popkultur zu Hause war und in akademischen Kreisen eher herablassend zur Kenntnis genommen wurde: der Science Slam, in diesem Fall der History Slam.

Ein Slam ist eine Bühnenschlacht, in der die Teilnehmer in nur wenigen Minuten ihr Projekt, Lied, Gedicht oder ihre Prosa vorstellen und dafür von einem Laien-Publikum nach Punkten bewertet werden. Dabei kann es natürlich zu grässlichen Ungerechtigkeiten gegenüber geistigen Leistungen kommen. Manchmal entdeckt aber gerade das ungeschulte Publikum kleine Perlen, die in Fachkreisen völlig unterbewertet geblieben wären.

Beim History Slam (im Hamburger Club Uebel und Gefährlich) stellten fünf junge Doktoranden ihre Dissertationsprojekte vor. Wobei man sagen muss: Die Themen sind in den seltensten Fällen Knaller, die ein Millionenpublikum vom Hocker reißen würden. Was zum Beispiel verbirgt sich hinter „Das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburg-preußischen Hofes um 1700“? Doktorandin Elisabeth wollte zeigen, wie Rang und Hierarchie präsentiert wurden, erklärte sie. Heute kennen wir so was eher aus „Star Wars“. Kandidat Klaus hingegen arbeitet an „Der Adelsentzug im 19. Jahrhundert in den deutschen Ländern“. Einem Adligen, der eine Straftat beging und sich damit als seines Standes unwürdig erwies, konnte der Adelstitel gerichtlich entzogen werden. Nun sei der Adel ja 1918 abgeschafft worden, gab Klaus zu, und man könne fragen: Hat das Thema heute noch aktuelle Relevanz? Nö. Trotzdem bekam Klaus für seine fallreiche Präsentation 82 von 100 Punkten – ein Beispiel für erfolgreiche History-Verkaufe.

Man könnte argumentieren, dass Dissertationen eigentlich nur eine akademische Übung sind, um nachzuweisen, dass man die Methoden des Fachs beherrscht. Trotzdem wäre es eine gute Idee, Slams an Historischen Seminaren einzuführen. Dann würden manche Themen vielleicht noch mal genauer fokussiert und auf potenziellen Unterhaltungscharakter hin geprüft. „Zur Geschichte der Polio-Schutzimpfung mit besonderer Berücksichtigung der Behring-Werke“ klingt dröge, aber warum soll nicht „Die Rolle der Ziegenmilch in der Säuglingsernährung des 19. und 20. Jahrhunderts“ durchaus näher beleuchtet werden? Auch „Die Staatsbesuche des Bundespräsidenten Heinrich Lübke in Afrika, Asien und Lateinamerika und ihr Beitrag zur Repräsentation der Bundesrepublik“ bergen wahrscheinlich manche Pointe.

Aber was machen wir mit „Das sächsische Bergschulwesen (1776– 1924)“? Oder mit „Der Gebisszustand von Unteroffizieren im Sanitätsdienst im Vergleich zu Unteroffizieren im Truppendienst der deutschen Bundeswehr“ oder „Zur Qualitätsbestimmung von Bockwürstchen anhand der Sedimentierprobe“? Oder mit „Wissenschaftsgläubigkeit und ihr Einfluss auf amerikanische schwule Identitäten vor Stonewall (1955–1965)“? Der Historiker liebt klar umrissene Quellenlagen. Deshalb entschied ich mich am Ende meines Geschichtsstudiums für ein Thema, das weiten Teilen der Weltöffentlichkeit bisher fast verborgen blieb: „Der Frankfurter Fettmilchaufstand 1612–1616 – wirtschafts- und sozialgeschichtliche Ursachen“. Kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs kam es in Frankfurt/Main zu einer Krise, die schließlich von den umliegenden Territorialfürsten militärisch niedergeschlagen wurde.

Im Mittelpunkt stand ein charismatischer, taktisch jedoch unbeholfener Lebkuchenbäcker namens Vinzenz Fettmilch. Das Schöne war: Zwar hatten sich zahlreiche pensionierte Frankfurter Oberstudienräte mit Arbeiten über Fettmilch verewigt, aber ein Großteil der Quellen war im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Was genau die Relevanz ist, kann ich Ihnen auch nicht sagen, und die Arbeit fand genau drei Leser (mich und die Prüfer). Aber der Aufstand hatte alles, was es braucht: Zunftunruhen, Judenpogrome, die Absetzung des patrizischen Stadtrats, Spionage und am Ende eine grauenhafte Hinrichtung.

Schade, dass es damals noch keine Slams gab.