Berlin/Hamburg. Foodwatch kritisiert Nahrungsmittelkonzerne und fordert Werbeverbot für gefährliche Dickmacher.

Foodwatch schlägt Alarm: Wer nur einen kurzen Blick auf das Nesquick Knusper Frühstuck aus dem Hause Nestlé wirft, könnte das Kinderprodukt mit dem lustigen Comic-Hasen für ein gesundes Lebensmittel halten. „44 Prozent Vollkorn“ steht groß auf der Packung. Wesentlich kleiner ist hingegen der Hinweis, dass die Frühstücks­flocken zu einem Viertel aus Zucker bestehen. Viel zu viel, wenn man die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO für solche Kinderlebensmittel zugrunde legt. Danach wären maximal 15 Prozent tolerabel.

So wie Nestlé gehen nach einer Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch nahezu alle Nahrungsmittelkonzerne in Deutschland vor. Sie alle buhlen mit bunten Comicfiguren, Spielzeugbeigaben oder Spielen auf den Internetseiten um die Aufmerksamkeit der jugendlichen Kundschaft, bieten zugleich aber Produkte mit einem zu hohen Zucker-, Salz- oder Fettgehalt an. Dies gilt nach Einschätzung von Foodwatch-Chef Thilo Bode nicht nur für klassische Süßigkeiten, sondern auch für vermeintlich gesunde Lebensmittel wie Joghurts oder Cerealien.

Insgesamt hat Foodwatch 281 Produkte von Herstellern wie Kellogg’s, Ferrero, Danone, Mondelez, Nestlé, Coca-Cola, PepsiCo, McDonald’s und Unilever untersucht. 90 Prozent der beworbenen Produkte sind demnach nach den Anforderungen der WHO keine ausgewogenen Kinderlebensmittel. Nur 29 Produkte erfüllten die WHO-Kriterien, die allerdings erst in diesem Jahr veröffentlicht wurden.

Die Hersteller haben sich zwar im Jahr 2007 freiwillig dazu bereit erklärt, auf eine gezielte Vermarktung ungesunder Lebensmittel an Kinder zu verzichten. Die in diesem Zusammenhang angelegten Kriterien kritisiert Foodwatch aber als zu lasch. So sind in der Selbstverpflichtung beispielsweise 30 Prozent Zucker in Kinderfrühstücksflocken erlaubt, während die WHO nur die Hälfte für verantwortbar hält. Bei Joghurt sehen die Hersteller 13 Prozent Zucker als zulässig an, die WHO hingegen nur zehn Prozent. „Mit wohlklingenden Selbstverpflichtungen inszeniert sich die Lebensmittelbranche als Vorreiter im Kampf gegen Übergewicht und Fehlernährung – und vermarktet gleichzeitig tonnenweise Süßigkeiten und Junkfood gezielt an Kinder“, sagt daher Foodwatch-Experte Oliver Huizinga. Die Lebensmittelwirtschaft sei nicht Teil der Lösung, sondern Kern des Problems Übergewicht. In der Bundesrepublik sind nach Angaben der Deutschen Adipositas Gesellschaft rund 15 Prozent der Kinder übergewichtig, sechs Prozent sind sogar adipös, also fettleibig. Ihnen drohen später Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Gelenkproblem, Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen.

Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde wies die Vorwürfe als „unseriös“ und „effektheischend“ zurück. „Foodwatch verunglimpft sichere und qualitativ hochwertige Lebensmittel aufgrund von Nährwertprofilen, die eine reine Empfehlung und keine verpflichtende Vorgabe darstellen, erst vor wenigen Monaten veröffentlicht und zudem in einem intransparenten Verfahren bestimmt wurden“, erklärte BLL-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff. Es würden wissenschaftlich nicht belegte Kausalzusammenhänge behauptet.

So blieben die Autoren der Studie etwa die Antwort schuldig, warum 94 Prozent der Kinder in Deutschland nicht adipös sind, obwohl sie den gleichen medialen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Bedingungen ausgesetzt sind, wie die sechs Prozent betroffenen adipösen Kinder. Die Einteilung von Lebensmitteln in gut und schlecht oder gesund und ungesund wissenschaftlich nicht begründbar.

Dagegen forderte Foodwatch zusammen mit der Deutschen Adipositas Gesellschaft und der Deutschen Diabetes Gesellschaft als Reaktion auf die Ergebnisse eine gesetzliche Regelung. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) müssten dafür sorgen, dass an Kinder gerichtetes Marketing nur noch für Lebensmittel erlaubt werde, die den WHO-Kriterien entsprechen. Rein freiwillige Maßnahmen reichten offenbar nicht aus.

Der Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Dietrich Garlichs, erklärte, die meisten als Kinderlebensmittel bezeichneten Lebensmittel seien „schlichtweg Süßigkeiten“. „Marketing für ,Kinderlebensmittel‘ muss per Gesetz eingedämmt werden, sonst werden wir die Welle der Fehlernährung und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen nicht stoppen“, erklärte Garlichs.