Dem Lokomotivführerstreik verdanke ich es, dass ich jüngst, auf einer Reise durch Schwaben, mit dem Auto an der Stadt Weinsberg mit ihrer Burgruine „Weibertreu“ vorbeifuhr. Ich hatte die Landschaft des deutschen Mittelalters, eine Mischung aus Fachwerk, mittelständischer Industrie, Weinbergen und verwitterten Gemäuern, seit meiner Studienzeit nicht mehr gesehen.

Es ist das Land des Hochmittelalters, der Kämpfe zwischen den ghibellinischen Truppen der Stauferkaiser und den welfischen Anhängern des italienischen Papsttums. Viele Sagen ranken sich um diese Zeit.

In der Schlacht von Waiblingen unterlagen die Welfen 1140 den Staufern, zogen sich auf die Burg Weinsberg zurück, konnten die lange Belagerung nicht aushalten, sondern mussten den Kaiser Konrad um Gnade anflehen. Der gewährte den Weibern von Weinsberg freien Abzug und dass jede von ihrem Schatz so viel mit sich tragen dürfe, wie sie könne. So berichtet es der Spätromantiker Ludwig Bechstein in seinem Sagenbuch: „Die Männer aber sollten über die Klinge springen.“ Die Frauen aber dachten mehr an die Treue, die sie ihren Männern schuldeten, als daran, ihre Habe zu bergen. In meinem Kinderbuch ist zu sehen, wie die Frauen ihre Männer huckepack aus der Stadt tragen. Samt Helmen und Schwertern. Die Sage heißt „Die Weiber von Weinsberg“, Weib, das war damals noch kein abschätziges Wort, sondern benannte wie das englische „wife“ noch heute die Herrin von Haus und Hof. Es ereignete sich also im finsteren Mittelalter, dass die Herzogin Jutta ihren Gemahl Welf vom Berg herab rucksackte und alle Damen ihrem Beispiel folgten. Dem Kaiser gefiel diese Weiberlist, und er sagte: „Versprochen ist versprochen!“

Der Balladendichter Gottfried August Bürger, Zeitgenosse Goethes und Schillers, reimte über diesen Akt fraulicher Entschlossenheit und Emanzipation mit viel Sarkasmus, wie der Herrgott in die besiegte Stadt hineintrompetete und den Männern prophezeite: „Ihr Schurken, komm ich ‘nein, so wisst / Soll hängen, was die Wand bepisst.“ Hier wird also zum ersten Mal ein Mann als Stehpinkler verhöhnt. Die Frauen retteten sie dennoch – trotz aller hygienisch-feministischer Bedenken.