Aber Vater und Mutter „gehen“ zum Elternabend. Etwas über den Numerus bei einschließenden und ausschließenden Konjunktionen

Vielen Dank für Ihre Mails. Hinweise und Korrekturen sind stets hilfreich, denn niemand ist fehlerfrei, auch ich bin es nicht. Ich habe Verständnis dafür, dass es einen unwiderstehlichen, vielleicht gar nicht einmal böse gemeinten Impuls beim Leser auslöst, einem Journalisten einen tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler nachweisen zu können. Wir kennen dieses Gefühl aus der Schulzeit. Als unser Deutschlehrer in der Quinta versehentlich „Entgeld“ mit „d“ an die Tafel schrieb, hatte ich Rotzbengel meinen großen Auftritt. Der Studienrat wurde erst rot, dann blass und hat mich bis zum Abitur nicht mehr angeguckt. Was sich in der vergangenen Woche jedoch in meinem Postfach abspielte, wird – wie meine Tochter mir mit einem Anflug von Schadenfreude erklärte – heutzutage wohl „Shitstorm“ genannt.

Es ging um die Kongruenz (den Satzbau, die Konjugation) im Numerus (mit dem Singular oder Plural), konkret um die Frage, ob alle der aufgezählten Sendeanstalten den Genitiv abgeschafft haben oder ob eine von ihnen den Genitiv abgeschafft hat. Ich suchte den Schuldigen und habe die Aufzählung deshalb nicht mit „und“, sondern mit oder verbunden. Die Konjunktion oder schließt jedoch aus. Ein ausschließendes „oder“ fordert allerdings den Singular. Wenn wir sagen: Vater oder Mutter geht heute zum Elternabend, so wird sich nur einer von beiden auf den Weg machen, um sich die dreistündige Diskussion über die laktosefreie Marschverpflegung während des nächsten Klassenausflugs nach Hagenbeck anzutun. Mutter geht oder Vater geht, aber wer auch geht, geht im Singular.

Falls sich jedoch Vater und Mutter gemeinsam auf den Weg machen, um der pädagogisch wie ideologisch etwas abgehobenen Klassenlehrerin einmal gründlich die Meinung über die Rechtschreibkenntnisse der Abc-Schützen zu sagen, so werden die Elternteile mit der einschließenden Konjunktion „und“ verbunden. In diesem Fall steht der Plural. Vater und Mutter gehen zum Elternabend.

Noch einige Bemerkungen zur Kongruenz im Numerus. Wenn Sie die Überschrift lesen: „Ein Drittel der Hamburger haben nicht gewählt“, dann schreiben Sie nicht gleich voller Empörung. In knochentrockener Grammatik wählt das Drittel zwar im Singular, aber wenn das Attribut eine singularische Mengenangabe wie Hälfte oder Dutzend ist, der das Gezählte im Plural folgt, sind Singular und Plural des Verbs in gleicher Weise möglich und korrekt. Manchmal ist das Gezählte nur etwas Gedachtes. Ist wenig oder genug Subjekt, dann steht das Verb im Plural, wenn ein pluralisches Wort im Stillen ergänzt werden kann: Genug waren dort versammelt (für: Genug Menschen waren dort versammelt). Kann jedoch kein Plural ergänzt werden, dann folgt immer der Singular: Wenig gehört zum Glück.

Ein Attribut übt im Allgemeinen keinen Einfluss auf den Numerus aus. Alles Gute wünscht dir (nicht: „wünschen“) Friedrich nebst Familie. Friedrich wünscht, die Familie wünscht nicht aktiv mit, sie wird nur von Friedrich erwähnt. Frau Müller mit ihrer Tochter kam (nicht „kamen“) zum Gratulieren. Auch das Ergebnis einer Rechenaufgabe steht stets im Singular: Zwei und zwei ist vier (nicht: „sind“). Fünf weniger drei macht zwei. An dieser Stelle sollten Sie standhaft und konservativ bleiben, obwohl man den Numerus in diesem Zusammenhang inzwischen häufiger falsch als richtig hört. Aber: Zwei Cent sind (nicht: „ist“) zu viel.

Zurück zum „Shitstorm“, der mich bereits in der ersten Spalte meiner Kolumne vom vergangenen Dienstag anwehte. Die indirekte Rede, so meinten einige Leser, müsse mit dem Konjunktiv I gebildet werden und also nicht gäbe, sondern gebe lauten. Allerdings wollte ich keine direkte Rede indirekt wiedergeben, sondern eine irreale Behauptung zurückweisen. Es gibt ja keine Genitivobjekte wie Sand am Meer, es gibt nur Leute, die behaupten, dass es sie gäbe. Hier haben wir es mit dem sogenannten Irrealis zu tun, bei dem vorausgesetzt wird, dass der geschilderte Sachverhalt nicht wahr oder nicht eingetreten ist. Der Irrealis steht im Konjunktiv II.

So, nun wieder Feuer frei, selbst wenn meine Kolumne auf diese Weise zum Dialog zu werden droht.

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