Selbst wenn die SPD bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar nicht die absolute Mehrheit holen und einen Koalitionspartner benötigen sollte, wird sie eines mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht tun.

Im Jahr 1946 geschah in Hamburg etwas, was wir aus heutiger Sicht für merkwürdig halten. Man könnte sogar sagen: völlig absurd. Bei der ersten Bürgerschaftswahl nach dem Krieg errang die SPD mit 83 von 110 Mandaten eine überragende Mehrheit, aber sie stellte die Regierung keineswegs allein, sondern holte noch FDP und KPD mit in den Senat. Eine versöhnliche Geste nach Jahren des Schreckens.

Im Jahr 2015 sind die Vorzeichen gänzlich anders: Selbst wenn die SPD bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar nicht die absolute Mehrheit holen und einen Koalitionspartner benötigen sollte, wird sie eines mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht tun: die FDP mit ins Boot holen. Und das hängt nicht ganz unwesentlich mit einem Ereignis aus der vergangenen Woche zusammen.

Am Donnerstag lag die neue „Gala“ an den Kiosken. Und mitten zwischen Klatsch („Franziska van Almsick: Hält ihre Liebe das aus?“) und den neusten „Laufstegtrends“ lachte die Leser Katja Suding an, ihres Zeichens Fraktionschefin und Spitzenkandidatin der Hamburger FDP. Zusammen mit ihrer Bremer Parteikollegin Lencke Steiner und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer posierte sie in hautengen Retro-Kostümen als „Drei Engel für Lindner“, eine Anspielung auf die TV-Serie „Drei Engel für Charlie“ aus den 70er-Jahren. Der Vergleich hinkte zwar, schließlich bestand der Gag des Fernsehformats darin, das „Charlie“ unsichtbar blieb, was für FDP-Chef Christian Lindner eher nicht infrage kommt. Und die Botschaft, dass sie wie die TV-Engel nur Aufträge ihres anonymen Chefs erfüllen, wollten die drei ansehnlichen Damen wohl auch nicht senden. Aber über derartige inhaltliche Details sieht man bei den Liberalen schon lange gern hinweg, wenn sich nur der gewünschte Effekte einstellt: Aufmerksamkeit.

Schon am Mittwochabend, bei der letzten Bürgerschaftssitzung vor der Wahl, kursierten die Fotos im Rathaus. Mancher Betrachter dachte zunächst an den üblen Scherz eines FDP-Hassers, der Suding lächerlich machen wollte. Dabei handelte es sich in Wahrheit um ein von langer Hand geplantes Fotoshooting als Teil der ohnehin peppigen FDP-Kampagne. Die inszenierte Suding schon als „Unser Mann für Hamburg“, und manches ihrer unzähligen Plakate wirft bei den wenigen Hamburgern, die sie noch nicht kennen, vor allem die Frage auf, wo es die schicken Klamotten denn zu kaufen gibt.

„Attraktivität hilft, Aufmerksamkeit zu bekommen“, verrät Suding denn auch mit entwaffnender Offenheit in der „Gala“ und fügt hinzu: „Andererseits ist es schwerer für attraktive Menschen als intelligent wahrgenommen zu werden.“ Statt „intelligent“ hätte sie auch „seriös“ sagen können, und damit wären wir beim Kern der Geschichte. Denn Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist nicht nur ein sehr ernsthafter Politiker, sondern er legt auch allergrößten Wert darauf, dass in der Öffentlichkeit kein anderes Bild von ihm entsteht. „Er ist zuverlässig. Sein Wort gilt“, bescheinigte ihm dieser Tage ausgerechnet sein Amtsvorgänger von der CDU, Ole von Beust, im „Stern“. Außerdem lobte er Scholz für dessen „feinsinnigen kauzigen Humor“. Den zeigt der Bürgermeister freilich nur, wenn Mikrofone und Kameras ausgeschaltet sind. Ansonsten gilt, was Scholz just am Mittwoch in der Bürgerschaft zum Haushalt sagte: „Die Grundlage von allem ist Seriosität.“

Es braucht keine vertieften Kenntnisse der Hamburger Politik, um zu erkennen, dass es zwischen Scholz und Suding gewisse Unverträglichkeiten gibt. Aus dem Umfeld des Bürgermeisters heißt es, er habe den Eindruck, die FDP nehme die Sache nicht ernst – was in Scholz’ Welt einem vernichtenden Urteil gleichkommt. Seine oft wiederholte Aussage, wenn es für die SPD nicht zur absoluten Mehrheit reiche, frage er die Grünen, ist hingegen genau so gemeint – zumal sie wunderbar als taktische Drohung funktioniert: Alle, die Rot-Grün scheuen, etwa die Wirtschaft, sollten doch lieber gleich SPD wählen. Das scheint – wie schon vor der Wahl 2011 – zu verfangen: Die SPD-Werte kletterten in Umfragen zuletzt auf bis zu 46 Prozent, die der Grünen fielen zurück auf nur noch elf Prozent.

Gescheitert ist die FDP mit ihrer Aufsehen erregenden Kampagne aber keineswegs, im Gegenteil. Mit der Aufmerksamkeit stiegen auch die Umfragewerte, von zwei auf vier, auf fünf, und zuletzt sogar auf sechs Prozent. Das Hauptziel, den Wiedereinzug in die Bürgerschaft, könnten die im Herbst schon totgesagten Liberalen schaffen. Die Tür zum Senat, an die Suding in jedem Interview klopft, dürfte hingegen mehr denn je versperrt sein.

Dass eine Fotostrecke in Hochglanz unerwünschte Nebenwirkungen haben kann, ist übrigens keine neue Erkenntnis: 2010 hatte sich Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) mit seiner Frau Simone in Abendgarderobe für die „Bunte“ im feudalen Hotel „Vier Jahreszeiten“ ablichten lassen. Dazu hatten sie kleine Intimitäten ausgeplaudert, etwa, dass er sie „Fila“ nenne – für First Lady. Viele Hamburger nahmen ihrem ohnehin wenig beliebten Stadtoberhaupt die fehlende hanseatische Zurückhaltung übel und straften Ahlhaus bei der Wahl mit 21,9 Prozent ab.

Andererseits muss die CDU gerade leidvoll erfahren, dass trockene Seriosität der Marke Scholz auch nicht automatisch zum Erfolg führt. Ihr Spitzenkandidat Dietrich Wersich tritt durch und durch hanseatisch auf, in Umfragen liegt er aber noch unter dem Ahlhaus-Wert, bei 18 bis 19 Prozent. Politik ist halt mitunter ein merkwürdiges Geschäft, 1946 wie heute.

Abendblatt-Redakteur Andreas Dey beobachtet die Hamburger Landespolitik