Manchmal drückt erst der richtige Kasus den notwendigen Respekt aus. Das Genitivobjekt ist heutzutage vom Aussterben bedroht

Sie lesen bereits die 126. Folge meiner „Deutschstunde“. Was ursprünglich nur eine einmalige Replik auf einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Rechtschreibreform – ein Riesenfehler“ sein sollte, hat sich zur wöchentlichen Sprachkolumne entwickelt. Viele Stolpersteine, Eigenarten, Fehler und Regeln des Deutschen sind im Laufe der Zeit angesprochen worden, weniger systematisch als in einem Sprachbuch, jedoch stets in dem Bemühen, hier und da hineinzuleuchten, um aufzuzeigen, dass Rechtschreibung und Grammatik auch Spaß machen können, wenn ihr Gebrauch mit einem Augenzwinkern erklärt wird.

Falls Sie weiterhin Geduld mit mir haben, warten noch zahlreiche Themen auf eine Bearbeitung, und täglich kommen weitere hinzu, die aus der Leserschaft vorgeschlagen oder angefragt werden. Es ehrt mich zwar, aber ich kann nicht der Praeceptor Germaniae sein, der sich von der Alster aus dem tatsächlichen und angenommenen Verfall der deutschen Sprache entgegenstellt. Deshalb die herzliche Bitte, die gemeldeten Fehler mit genauer Quellenangabe auf das Hamburger Abendblatt zu beschränken. Dann kümmere ich mich gern darum.

Allerdings gibt es im digitalen Zeitalter keine fehlerfreie Tageszeitung (die gab es übrigens früher im Bleisatz noch viel weniger), und wenn dann das, was tausendmal richtig war, irgendwo im Innern des Blattes einmal falsch gemacht worden ist, läuft mein Postfach über. Natürlich gedachte der Landtag nicht, wie es zu lesen stand, „den“ Toten, sondern – so hoffe ich wenigstens – der Toten. Seit 55 Jahren kämpfe ich darum, jedwedes Gedenken im Genitiv zu veranstalten, und gerade heute haben die vor 70 und mehr Jahren Ermordeten und Gequälten wenigstens den Respekt der richtigen Grammatik verdient. Wir gedenken des Falls der Mauer (nicht: „dem Fall“), und wir werden im kommenden Mai (das schon einmal auf die Agenda!) des Endes und nicht „dem“ Ende des Krieges gedenken.

Wir haben es hier mit einem Genitivobjekt zu tun. Objekte sind in der Sprachwissenschaft Satzglieder, die von einem bestimmten Verb in einem bestimmten Kasus als Ergänzung gefordert werden, von den Verben gedenken, bedürfen, sich bedienen, sich enthalten, sich erbarmen, sich erinnern, sich schämen oder sich vergewissern eben mit dem Genitiv. Auch die Fügung Herr werden fordert eine Ergänzung im Genitiv: Der Senat wird des Verkehrs nicht Herr, nicht etwa „dem“ Verkehr, obwohl es auf diesem Gebiet in Hamburg auf den Kasus letztlich auch nicht mehr ankommt.

Genitivobjekte sind in der Sprache so selten wie Wachtelkönige in der Natur, aber es gibt sie noch, während ich mir im Hinblick auf den Wachtelkönig nicht so sicher bin. Als der Kollege Bastian Sick den Alarmruf „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ in die Welt setzte, füllte er Säle und Auflage. Mich wundert nur, dass es keine Montagsdemonstrationen zur Rettung des Genitivs samt Gegendemonstrationen für den Dativ gegeben hat – oder wenigstens das Wort der Kanzlerin „Der Genitiv gehört zu Deutschland“.

Der Genitiv gehört auf jeden Fall zur Präposition wegen. Diese Aussage würde in einer Umfrage wohl fast 100 Prozent Zustimmung finden. Das Dumme ist nur, sie stimmt nicht immer. Ab und zu muss (!) nämlich der Dativ stehen, und steht der Dativ, pflegen manche E-Mail-Eingänge keine vermeintlichen Fehlermeldungen mehr zu sein, sondern in eine nicht zitierfähige Generalabrechnung mit der Redaktion des Abendblatts auszuarten. Der Dativ wird gebraucht, wenn der Genitiv im Plural nicht zu erkennen ist. Nicht: Wegen „Geschäfte“ ist er in London, sondern wegen Geschäften. Das gilt auch für andere Präpositionen: Der Preis versteht sich einschließlich Getränken. Oder: hinsichtlich Angeboten und Preisen.

Tritt jedoch ein Artikel oder ein Attribut hinzu, dann krabbelt der Kasus auf der Leiter der Fälle vom Dativ wieder eine Sprosse zum Genitiv empor: Mein Chef ist wegen wichtiger Geschäfte in London; die Pauschale einschließlich alkoholfreier Getränke; hinsichtlich der Angebote und Preise.

Ansonsten heißt es natürlich: Wegen des Regens bleibe ich zu Hause. Wegen meiner (besser: meinetwegen) brauchst du nicht zu kommen, im Schriftdeutsch bitte nicht „wegen mir“.

Der Verfasser, 73, ist „Wortschatz“- Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags