Manche Wörter sind von der Tmesis, der Teilung, bedroht. Es gibt Partikel und Präfixe, die leiten die Scheidung vom Stamm ein

Es ist zwar nicht anzunehmen, dass es ausgerechnet die deutsche Sprache ist, die die Menschen aus aller Welt als Flüchtlinge nach Deutschland strömen lässt, aber ohne deutsche Sprache wird es für diejenigen, die bleiben wollen (und das sind angeblich die meisten), nicht gehen. Die deutsche Sprache, das hat selbst unsere Bundeskanzlerin einmal gesagt, ist die erste Voraussetzung für die Integration in unserem Land.

Es ist schon schwierig genug, selbst den muttersprachlichen Nachwuchs für einen Augenblick vom Smartphone wegzulocken, um ihm einen Hauch des korrekten Deutschs beizubringen, umso mühsamer wird es sein, Deutsch als Fremdsprache zu vermitteln. Das liegt nur zum Teil an der komplizierten Grammatik – die ist auch in anderen Ländern nicht einfacher –, sondern an der pausenlos genutzten Möglichkeit, den Wortschatz quasi bis ins Unendliche zu erweitern, indem wir zwei oder mehr selbstständige Elemente zu einem neuen Begriff zusammenfügen.

Aus dem Grundwort „Grenze“ und dem Bezugswort „Licht“, denen wir einzeln eine bestimmte Bedeutung zugeordnet hatten, entstand am 9. November das Kompositum (die Zusammensetzung) „Lichtgrenze“. Wer die Semantik (den Bedeutungsinhalt) der deutschen Sprache von klein auf eingeatmet hat, wird diesen neuen Begriff beim Anblick der beleuchteten Ballons in Berlin, die den Verlauf der ehemaligen Mauer markierten, verinnerlicht haben. Ein Fremder kann sich jedoch im aufgeblähten Korpus der deutschen Sprache alleingelassen fühlen, denn die Lichtgrenze, die es danach zum „Wort des Jahres“ gebracht hat, steht wie die meisten Komposita nicht einmal im Duden.

Wie man in der Sprache ähnlich wie in der Chemie Elemente zusammenfügen kann, so kann man hier wie dort das Zusammengefügte auch wieder in seine Bestandteile zerlegen. Es gibt Wörter, die halten nicht fest zusammen, sondern deren Einzelteile sind bei entsprechender Syntax (Satzbau) flüchtig, laufen auseinander und reihen sich an verschiedenen Stellen wieder in den Satz ein. Zu jedem sprachwissenschaftlichen Vorgang gehört auch ein entsprechender Fachbegriff, den die meisten zwar nicht verstehen, der aber so schön gebildet klingt. Meine Finger haben eben einen Abwehrkampf über der Tastatur versucht, aber ich kann dann doch nicht widerstehen, den Fachbegriff zu nennen: Wir sprechen von der Tmesis (Plur. Tmesen). Wie jeder richtige Fachbegriff der Linguistik (Sprachwissenschaft) ist auch die Tmesis griechischen Ursprungs und bedeutet eigentlich „das Abtrennen, Schneiden, Zerteilen“, auf Deutsch: die Trennung zusammengehörender Wortteile. Wenn ich endlich das tue, was ich tun muss, nämlich fortzufahren, so kann ich im Infinitiv (in der Grundform) fortfahren, ich kann aber auch sagen: Ich fahre im Text fort – und schon habe ich das eine Verb in zwei Teile zerlegt.

Bei vielen Verben steht vor der Infinitivendung -en oder -n nur der Stamm: fall-en, setz-en, arbeit-en, bring-en. Dabei handelt es sich um die sogenannten einfachen Verben, die wir nicht weiter zerteilen können. Wozu auch? Daneben gibt es Verben, die ein Präfix enthalten. Präfixe sind kleinste bedeutungstragende Bestandteile wie be-, ver-, ent- oder un-, die einem Wortstamm vorangehen und so einen neuen Wortstamm bilden, der dann immer fest zusammenbleibt. Deshalb spricht man in diesem Fall von untrennbaren Verben: Ich ersetze die Batterie. Ich „setze“ die Batterie „er“ wäre Blödsinn.

Anders jedoch, wenn wir es mit Partikelverben zu tun haben, denen ein Verbzusatz vorangeht, der der Form nach wie ein Adjektiv oder eine Präposition aussehen kann, bei dem es sich jedoch um nichts anderes als ein Präfix handelt, das bei entsprechender Syntax wandern muss: Otto will das Buch zurückbringen. Otto bringt das Buch zurück. Ich will an dem Ausflug teilnehmen. Ich nehme an dem Ausflug teil.

Das gilt auch für das Verb eislaufen, das eine Tätigkeit beschreibt, bei der ich auf dem Eis laufe, das gilt jedoch nicht für Eis schlecken. Kompliziert wird es, wenn es heißt: Auf dem Eis laufe ich gern eis und schlecke dabei Eis. Da das Fahrrad der SPD in Hamburg die absolute Mehrheit retten soll, wird Rad fahren allerdings stets großgeschrieben. Wie gesagt: Deutsch ist nicht einfach, erst recht nicht für Migranten.