Manchmal reicht ein -s, manchmal muss es ein -es sein, und manchmal können Sie schreiben, wie Sie wollen. Das Dativ-e stirbt aus

Wenn Erika M. über die Dörfer fährt und die vielen an einem „Galgen“ pendelnden Makler-Schilder liest, ärgert sie sich über die Genitivendung -es, mit der der Kauf eines Grundstückes angeboten wird. „Mir würde Grundstücks besser gefallen“, schreibt sie. „Gibt es dazu einschlägige Regeln? Ich freue mich auf Ihre Antwort.“

Auch ich freue mich, und zwar über jede Mail, kann aber unmöglich allen Einsendern eine individuelle Grammatik-Abhandlung schicken. Es gibt Genitive ganz ohne Endung, Genitive mit der Endung -s, Genitive mit der Endung -es und Genitive, bei denen sowohl -s als auch -es möglich ist. In einem solchen Fall wird die Bezeichnung -[e]s gebraucht, was bedeutet: Ob Sie das in eckigen Klammern stehende e im Genitiv schreiben oder nicht, bleibt ganz allein Ihnen überlassen.

Ich hoffe, nicht für unhöflich gehalten zu werden, wenn ich mir den Hinweis erlaube, dass der Rechtschreibduden zu jedem Hauptwort die Genitivendung aufführt. Dennoch: Es gibt einige Regeln – oder sagen wir besser: Gebrauchsmuster – über die Form nicht nur des Genitivs, sondern auch des Dativs. Um Ihnen die Lust am Weiterlesen nicht zu nehmen, schenke ich mir an dieser Stelle, umfangreiche Flexionstabellen der deutschen Grammatik zu erzeugen. Allerdings müssen wir kurz auf die sogenannte „starke“ Deklination der Substantive blicken.

Die Kasusbildung bietet sich im Maskulinum so dar: der Tag, des Tag-[e]s, dem Tag[-e], den Tag, im Neutrum das Bild, des Bild-[e]s, dem Bild[-e], das Bild. Die Feminina bleiben endungslos und bereiten keine Schwierigkeiten: die Kraft, der Kraft, der Kraft, die Kraft.

Substantive, die auf einen Zischlaut enden, bilden den Genitiv grundsätzlich auf -es, zum Beispiel des Satzes, des Hauses, des Hasses. Substantive, die auf -en, -em, -el, -er oder auf eine Verkleinerungssilbe wie -lein und -chen ausgehen, verwenden dagegen ausschließlich die einfache Endung -s: des Fahrers, des Wagens, des Vogels, des Bübchens, des Rösleins. Bei zahlreichen anderen Substantiven im Maskulinum und Neutrum sind grundsätzlich beide Formen möglich, im Duden gekennzeichnet mit -[e]s. Häufig kommt es auf den Satzrhythmus oder den Sprachfluss an, um eine der beiden Möglichkeiten auszuwählen. Die eckigen Klammern bei einigen Kasusformen erfordern also eine Entscheidung von uns. Die volle Genitivform ist vor allem dann zu finden, wenn der Genitiv vorangestellt wird: des Tages Hitze, des Bildes schöner Schein oder des Waldes Rauschen. Auch bei einigen Komposita mit Fugen-s wird aus Klanggründen die Form mit -es favorisiert: des Geschäftsfreundes, des Jubiläumsjahres. Bei zweisilbigen Substantiven mit unbetonter Endsilbe oder bei Substantiven, die auf einen Vokal oder auf einen Vokal + h enden, findet dagegen die kurze Form Anwendung: des Abdrucks, des Mitleids, des Schnees, des Grießbreis, des Flohs.

Auf dem Rückzug ins Antiquariat ist das Dativ-e. Die Endung -e im Dativ Singular starker Maskulina und Neutra ist nicht mehr erforderlich und ist heutzutage mit einem Hauch von Sütterlin und Frakturschrift behaftet. Wird diese Endung noch gebraucht, ist sie häufig ein Ausdruck des rhythmischen Gefühls des Redners – oder sie muss das Versmaß retten: dem Manne kann geholfen werden. Überhaupt hat sich das Dativ-e am ehesten in formelhaften Verbindungen und Redewendungen erhalten: zu Kreuze kriechen, zu Buche schlagen, im Grunde genommen, im Zuge sein. Immer ohne -e im Dativ stehen Substantive, die auf Vokal oder Diphthong (Doppelvokal) enden: dem Ei, dem Schnee, dem Hurra.

Es war jetzt so häufig von der starken Deklination die Rede, dass wir einen kurzen Blick auf die schwache Deklination werfen wollen, die die Kasusformen mit dem Konsonanten -n bildet. Das ist schon fast langweilig, bereitet aber wenigstens keinerlei Schwierigkeiten im Genitiv und Dativ: der Mensch, des Mensch-en, dem Mensch-en, den Mensch-en. Im Plural geht es eintönig mit -en weiter: die Mensch-en, der Mensch-en, den Mensch-en, die Mensch-en. Feminina haben die Endungen ganz abgelegt: die Frau, der Frau, der Frau, die Frau. Übrigens: Schwache Neutra existieren nicht! Das Kind mag körperlich noch so schwach sein, grammatisch gesehen ist es stark.