Zur Nominierung Junckers als neuer EU-Kommissionschef

Kritiker halten Jean-Claude Juncker für einen Mann von gestern. Sie haben Recht. Da trifft es sich gut, dass auch die Probleme, die er nun bewältigen muss, von gestern sind. Die Briten wollen weniger EU, die Deutschen bei Energieversorgung oder Etatdisziplin sogar mehr davon. Die Nordländer wollen die Kommission auf hartes Sparen verpflichten, Italiens und Frankreichs Sozialisten erwarten hingegen, dass „gute Schulden“ für Wachstum und Beschäftigung irgendwie erlaubt werden. All diese Widersprüche sind unlösbar. Wenn die EU trotzdem nicht auseinanderfliegen soll, braucht es keinen jungen Macher, sondern einen alten Taktierer.

Badische Zeitung

Nein: Schüsse sind keine gefallen auf dem Gipfel in Brüssel. Opfer gibt es trotzdem: Nach Russland driftet nun auch Großbritannien von Europa weg. 100 Jahre nach dem verhängnisvollen Attentat von Sarajevo war das Brüsseler Treffen ein Gipfel der Spaltung. Fatal war die Lässigkeit, mit der die Kontinentaleuropäer die Bedenken Londons gegen den Kommissionschef Juncker abtropfen ließen. Ein halbes Jahrhundert lang war es eine anstrengende, aber gute Übung in Europa, um Kompromisse zu ringen und Einwände eines Mitgliedsstaates nicht einfach niederzustimmen. Von diesem Prinzip, die Familie unter allen Umständen zusammenzuhalten, hat sich Europa verabschiedet. Zurück bleibt eine einsame Kanzlerin: mit Juncker, den sie nie wollte, umzingelt von Freunden aus dem Club Med und vielleicht bald ohne den Verbündeten England.

Münchner Merkur