Mit 20 historischen Objekten erklärt der Direktor des British Museum in seinem Buch „Shakespeares ruhelose Welt“ eine Epoche voller Umbrüche

Richtig betrachtet und gründlich erklärt, können auch Gegenstände Faszination auf ihren Betrachter ausüben. Auf den ersten Blick haben Alltagsgegenstände wie eine Gabel, eine Lehrlingsmütze, ein „magischer Spiegel“ oder eine Uhr nichts miteinander zu tun und nur wenig Aufregendes. Doch der Reiz jener Sammlung aus 20 Objekten, die Neil MacGregor kombiniert, um aus diesen Puzzleteilen eine epochal riesige Welt zu errichten, besteht aus der Bedeutung, die sie hatten, nicht aus ihrer Funktion.

MacGregor ist Direktor des British Museum in London, vor einiger Zeit hat er das Kunststück geschafft, sehr anschaulich die Geschichte der Welt mit 100 Objekten zu erläutern. Für Shakespeares 52 Lebensjahre kommt er mit nicht einmal zwei Dutzend Exponaten aus der Zeit um 1600 aus seinem Museumsbestand aus. Seine Indiziensammlung für eine Ära im Aufbruch nennt MacGregor „Shakespeares ruhelose Welt“, was etwas sensationsheischender klingt, als es angemessen sein dürfte, denn kaum eine Epoche war nicht auch ein Übergang vom Gestern ins Morgen. Irgendwas war immer, erst recht in der langen Regierungszeit von Elisabeth I., die davon geprägt war, die Grenzen der bekannten Welt mit aller Macht dramatisch zu erweitern. Das Empire globalisierte sich und andere, fast ohne Rücksicht auf Verluste. Kein allzu großer Unterschied zu heute, so gesehen. Koloniale Machtspiele, politische Intrigen, Pestausbrüche und Religionskriege – die Auswahl an Ereignissen, die einem das Leben in London noch schwerer machen konnten, war üppig. Bei „Hamlet“ heißt es dazu passenderweise „Die Welt ist aus den Fugen“, als Kommentar zur Tagespolitik ein unschlagbar wahrer Satz, nach wie vor.

Wie gut, dass es damals diese aufsehenerregenden Stücke eines gewissen Will Shakespeare gab, in denen er seinen tragischen oder komischen Helden immer wieder Anspielungen auf den Alltag und historische Vergleichsgrößen in den Mund legte. Francis Drake benötigte ab 1577 drei Jahre für seine Weltumrundung; im „Sommernachtstraum“, zwei Jahrzehnte später, schafft Puck diese Strecke schon in „viermal zehn Minuten“. Seinem Publikum musste Shakespeare nicht langatmig erklären, worauf er sich mit solchen Verweisen bezog. Er schrieb für den sofortigen Verzehr, der Markt für gute Stoffe war immer da. MacGregor zeigt und erklärt neben einem prächtigen historischen Globus auch eine Gedenkmünze, mit der an Drakes Großtat zu Ehren ihrer Majestät der Königin erinnert wurde.

Krieg war in Shakespeares Dramen die Regel, nicht die Ausnahme. Die Kundschaft kannte es nicht anders. Die Kampfausrüstung von Heinrich V., zur Schau gestellt in Westminster Abbey, war zu Shakespeares Zeiten eine patriotische Reliquie, der lädierte Schild und das schartige Schwert des Königs waren Symbole für Englands Größe, für einen großen Sieg über die verhassten Franzosen. Für einen Penny Eintritt hatten Londoner Touristen die Wahl: entweder besichtigten sie staunend totes Metall, oder sie gingen ins Theater, um Shakespeares glühendem Henry zuzuhören: „Und nie von heute bis zum Schluss der Welt / Wird Crispin Crispian vorübergehn, / Dass man nicht uns dabei erwähnen sollte, / Uns wen'ge, uns beglücktes Häuflein Brüder: / Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt, / Der wird mein Bruder; sei er noch so niedrig, / Der heut'ge Tag wird adeln seinen Stand.“

McGregors Buch kann sich nicht entscheiden, ob es ein kleiner Ausstellungs-Katalog sein will oder doch ein Reiseführer in ein anderes Denken, Handeln und Fühlen. Genau das macht die Lektüre so reizvoll. Etliche Jahrzehnte vor Gründung der Hamburger Gänsemarktoper, in der ein bürgerliches Publikum sich unterhalten lassen konnte, boten sich die Londoner Theater, in denen Shakespeares Stücke gefeiert wurden, als basisdemokratische Kunsteinrichtung an. Jeder konnte kommen, nicht jeder benahm sich gleich, aber viele daneben.

Wie vornehm und gentlemanlike es in den teureren Logen vorging, schildert das Kapitel über die 22 Zentimeter lange Konfektgabel für süße Naschereien eines wohlhabenden Theaterbesuchers aus der Upper class, die als Prestigeobjekt mehr hermachte als heute das aktuellste Smartphone-Modell. Sie hatte zwei Zinken und ein „AN“ als Monogramm-Gravur am Griff, gefunden wurde sie in den Resten des Rose Theatre.

Für das letzte Exponat allerdings benutzt MacGregor allerdings seine Zeitmaschine und stellt die Uhr weit vor, bis zur Gefangenschaft von Nelson Mandela auf Robben Island, der 1977 eine mit Postkarten getarnte Shakespeare-Gesamtausgabe in die Hände bekam. Mandela unterstrich eine Passage aus „Julius Cäsar“: „Der Feige stirbt schon vielmal / eh er stirbt“. Ein weiterer Beweis, dass Shakespeare sowohl zeitlos gut schrieb als auch weit seiner Zeit voraus war. Moderner kann Geschichte kaum sein. Shakespeares Stücke, so endet MacGregors Rundgang, „fangen für uns die Quintessenz dessen ein, was es heißt, ruhelos Mensch zu sein in einer ruhelosen Welt“. Oder, in zwei Worten zusammengefasst: großes Theater.

Radiosendungen von BBC 4, Videos, Bildergalerien und weitere Informationen unter:

http://www.bbc.co.uk/programmes/b017gm45/galleries.

„Die ganze Welt ist Bühne“: aus „Wie es euch gefällt“