Die Shakespearisierung des Erzählformats TV-Serie gibt dem Polit-Thriller „House of Cards“ seinen finsteren Glanz.

Es war viel faul im Staate Texas. Als sich 1978 der Vorhang vor der Southfork Ranch hob und das böse „Dallas“-Imperium von J.R. Ewing zum ersten Mal das TV-Publikum angrinste, begann zwar keine neue Ära in der Geschichte der Shakespearisierung des Fernsehens. Aber immerhin ein sehr langes neues Kapitel. 13 Jahre lang benahm sich der Clan-Chef mit dem Stetson wie die Axt im Walde von Birnam bei „Macbeth“ und entwickelte sich mehr und mehr zu einem Lear in Cowboystiefeln, den die ölbaronige Familie am eigenen Hof zielstrebig in den Wahnsinn trieb.

J.R. wurde 1991 in den Vorruhestand geschickt, eine verjüngte „Dallas“-Wiederbelebung vor zwei Jahren mit ihm als Erbbauer verpuffte kläglich. Kein Wunder, denn mittlerweile sind ganz andere bad guys ins Rampenlicht durchmarschiert. Das Rollenfach des komplexen Finsterlings, eine der schönsten, schillerndsten Kategorien in Shakespeares Schaffen, ist in den komplexen TV-Epen der letzten Jahre prächtig aufgeblüht.

Ahnvater der Anti-Helden war wohl vor allem der zu Neurosen und Tötungsdelikten neigende Mafia-Filialleiter Tony Soprano, der damit aber letztlich aber auch nicht glücklich wurde. Die nächste tragische Gestalt, der man so fassungslos zusah wie einem Auffahrunfall, war der brave Chemielehrer Walter White, der sich im Laufe von fünf „Breaking Bad“-Staffeln vom krebskranken Mittelklasse-Wichtel in einen knallharten Drogenmogul verwandelte, gegen dessen Intrigenkunst der Jago aus „Othello“ nur die Sanftmut einer Schildkröte auf Valium hat. Auch „Sons of Anarchy“, eine Serie über einen rabiaten Motorrad-Club, orientiert sich an Shakespeare, weil es auch dort, wie bei „Hamlet“ nur einen geben kann, der sagt, was getan wird und was nicht.

Maß aller Undinge aber ist seit gut einem Jahr ein egomanischer Demokrat aus South Carolina. Frank Underwood, Kongressabgeordneter und Herz der Finsternis in dem grandios inszenierten Polit-Thriller „House of Cards“, dessen erste Staffel inzwischen auch auf DVD erhältlich ist. Während andere Serien portionsweise an die Kundschaft geliefert wurden wie früher die Fortsetzungsgeschichten von Dickens, kam „House of Cards“ als Gesamtausgabe zum sofortigen Verzehr ins Programm des Online-Anbieters Netflix. Auch das war eine revolutionäre, aber konsequente Idee. Das Theater zerstückelt seine besten klassischen Dramen ja auch nicht über Wochen.

Worum es geht, ist schnell erzählt: Underwood, bestens vernetzt, ist bei einer versprochenen Postenvergabe vom Präsidenten übergangen worden. Ein Klassiker jedes guten Dramas über Gier und Neid, Aufstiege und Fälle. Dieser Underwood ist ein Richard III. des 21. Jahrhunderts am Hof von Washington, ein Stratege ohne Buckel und ohne Skrupel, der auf den wichtigsten Thron der westlichen Welt will. Wenn es sein muss, geht er selbst über die Leichen, die er produziert. Ansonsten aber lässt er lieber fertigmachen. So bleiben die Hände sauberer. Seine Manschettenknöpfe zieren die Buchstaben F und U. Eigentlich seine Initialen, aber auch eine umgangssprachliche Abkürzung für den zynischen Realpolitiker-Kollegengruß „Fuck you“. Leg dich gehackt, aber nicht in meinen Weg, das ist die Underwood-Maxime, die er so konsequent beherzigt, dass man sofort in den Bann seiner minutiös zurechtgelegten Gemeinheiten gezogen wird.

Fans des Dichters aus Stratford, der in vielen seiner finstersten Stücke Licht in die englische Tagespolitik des elisabethanischen Zeitalters brachte, erkennen schon in der ersten Folge, dass die „House“-Autoren bei der Bearbeitung einer BBC-Vorlage von 1990 für den heutigen US-Markt ihre Referenz-Hausaufgaben gemacht haben. Wie Richard III. und Jago wendet sich Underwood in vielen Szenen direkt an sein Publikum, er unterbricht die berühmte vierte Wand, die den Spieler auf der Bühne im Theater von seinen Zuschauern im Saal trennt. Sie amüsieren sich gemeinsam über das, was gerade passierte. Andererseits: Auf verkürzte Distanz erwischt die Hauptperson einen auch einfacher dabei, mit ihm als Schurken zu sympathisieren, weil er ja in sein Vertrauen zieht. Und da Underwood so verdammt gut ist im Bösesein, hat er schnell alle Sympathien bei sich, da niemand auf der Seite der blasseren, guten Verlierer sein möchte. Die TV-Serie als moralische Anstalt, die alle Wertmaßstäbe subtil aushebelt. Gute Mädchen kommen möglicherweise in den Himmel. Böse Politiker schaffen es überall hin.

Wenn Underwood also eine Mischung aus dem vom Chef übergangenen Jago und dem skrupellosen Richard III. ist, dann ist seine Frau Claire, permafrostblond verkörpert von Robin Wright, das 2013er-Update von Lady Macbeth. Anderes Shakespeare-Drama, gleiches Kaliber. Sie will, dass aus ihm etwas wird. Und sie sorgt dafür, dass auch er das noch mehr will, als es ihm bewusst war, bevor er in den Ring stieg. Wie Macbeth und seine Gattin vertrauen auch Frank und Claire nur sich selbst. Interessanterweise hatte Spacey, als Underwood in der Rolle seines Lebens, in den Monaten vor Drehbeginn dieser Serie bei Theaterproduktionen eben jenen Richard III. gespielt, der ihm in diesem Polit-Thriller tief im Knochenmark steckte. Es ist eine diabolische Freude mitanzusehen, wie Underwood sich angesichts der Berechenbarkeit seiner Widersacher langweilt, wie cool er seine Schachzüge plant und mit welcher Verachtung er sich Freunde unter seinen Feinden macht.

Und Shakespeare wäre nicht Shakespeare, hätte er nicht schon vor Jahrhunderten in seinem „Macbeth“ ein nach wie vor frisch passendes Zitat für einen Weichensteller wie Frank Underwood vorformuliert: „Will das Schicksal mich als König, nun, mag das Schicksal mich krönen.“

„Selten kommt was Bessres“: aus „Richard III.“