Für seine Afghanistan-Politik braucht der Westen realistischere Ziele

Es ist mehr als eine Schlüsselübergabe: Zehn Jahre Feldlager Kundus, die am Sonntag offiziell beendet wurden, haben Afghanistan, die Bundeswehr und ganz Deutschland verändert. Der Name der nordafghanischen Stadt steht symbolisch für den bisher längsten, verlustreichsten und aufwendigsten Auslandseinsatz der Bundeswehr. 54 deutsche Soldaten kamen am Hindukusch ums Leben, davon 35 bei Kämpfen. Allein im Raum Kundus wurden 18 deutsche Soldaten bei Anschlägen und Gefechten getötet. Mehr als 7,6 Milliarden Euro hat das Unternehmen Afghanistan bisher offiziell gekostet.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, sich innerhalb eines alliierten Großeinsatzes nur auf den Bau von Brücken, Brunnen und Mädchenschulen konzentrieren zu können. Es war ein Kriegseinsatz – auch schon bevor ihn der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg 2009 das erste Mal so nannte. Und in dem sterben auch immer Unschuldige. So wie bei dem vom damaligen Oberst Klein befohlenen nächtlichen US-Bombenangriff auf zwei von Taliban entführte Tanklaster im September 2009 bei Kundus.

Und wie alle Kriege entwickelte auch dieser seine eigene Dynamik. 1200 Bundeswehr-Soldaten waren mit dem ersten Mandat in Afghanistan. In Spitzenzeiten stieg ihre Zahl auf mehr als 5000. Insgesamt waren mehr als 100.000 Männer und Frauen aus Deutschland im Einsatz. Sie haben bewiesen, dass sie hervorragend mit den Verbündeten zusammenarbeiten können. Sie haben im Laufe der Jahre dafür gesorgt, dass die Truppe materiell und von ihren Einsatzgrundsätzen her besser auf künftige Aufgaben vorbereitet ist. Sie haben zumindest zeitweise die Taliban und die Warlords zurückgedrängt und dem Land so die Chance für eine bessere Zukunft gezeigt. Die deutsche Bevölkerung stand mehrheitlich hinter der Truppe, die sich zudem in einem komplizierten Umstrukturierungsprozess zur Freiwilligenarmee befindet.

Am Ende des Einsatzes aber gilt die Provinz Kundus als die unsicherste im Norden des Landes. Zuletzt haben sich die Soldaten vor allem auf die Sicherung ihrer eigenen Stützpunkte konzentriert. Die Taliban machen sich wieder breit im Land, und die Regierung Hamid Karsais ist korrupt und unfähig wie ehedem. Was nach ihr kommt, weiß niemand genau vorherzusehen. Sicher dürfen sich zumindest alle westlichen Politiker inzwischen darin sein, dass sich Demokratie nicht so einfach exportieren lässt, wie es wohl manche von ihnen noch vor zehn Jahren gehofft oder zumindest öffentlich behauptet haben.

Im Dezember 2002, als Afghanistan noch Basis und Ausbildungszentrum al-Qaidas war, erklärte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD): „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Sein Nachfolger Thomas de Maizière (CDU) sagte bei einem Truppenbesuch in Masar-i-Scharif in diesem Juni: „Dieses Land wird nie ein sicheres Land werden.“ Die westlichen Kampftruppen ziehen im kommenden Jahr nicht wie die geschlagene Sowjetarmee 1989 ab. Aber ihre Mission konnten letztlich auch sie nicht vollständig erfüllen. Als Erfolg wird künftig bereits gelten müssen, wenn das Land mithilfe westlicher Berater, Gelder und materieller Unterstützung nicht wieder in einem heillosen Bürgerkrieg versinkt und zur Beute des internationalen Terrorismus wird. Das ist eine durchaus anspruchsvolle, aber auch realistischere Aufgabe, als eine Demokratie westlichen Musters installieren zu wollen. Sie wird noch viel Einsatz und einen langen Atem erfordern.

Der Autor leitet die Politikredaktion des Hamburger Abendblatts