Nach Angaben des niedersächsischem Innenministeriums ballt sich die extremistische Szene der Region in Tostedt.

Winsen. Es ist ein trauriger Spitzenplatz in Niedersachsen: Der Landkreis Harburg ist eine Hochburg für Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Im Jahr 2010 wurden 92 Straftaten von Rechten begangen. Nur in der Landeshauptstadt Hannover wurden mit 207 mehr Straftaten von Rechtsradikalen verübt. Damit liegt der Landkreis in der südlichen Metropolregion an zweiter Stelle. Zum Vergleich: Im Landkreis Stade lag die Zahl im selben Zeitraum bei 38 Straftaten, in den drei Kreisen Lüneburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen insgesamt bei 40. In der Statistik sind lediglich die Straftaten aufgeführt, die bei der Polizei angezeigt worden sind. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer weit höher liegt.

Das niedersächsische Innenministerium hatte die Zahlen auf Anfrage der Partei die Linke veröffentlicht. Laut Polizeiinspektion Harburg waren von den 92 polizeilich gemeldeten rechtsextremistischen Straftaten 23 Gewaltdelikte, darunter auch gefährliche Körperverletzung und 69 "allgemein politisch rechts motivierte Straftaten". Dazu zählt die Polizei unter anderem Volksverhetzung, das Tragen von Nazi-Symbolen, Sachbeschädigung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Bedrohung Andersdenkender und Beleidigung. Die meisten Körperverletzungsdelikte verzeichnete die Polizei in Tostedt. Die Gemeinde ist bekannt für ihre aktive rechte Szene. Ihre Galionsfigur ist der Rechtsradikale Stefan Silar, der hier sein Geschäft Streetwear, nach eigenen Angaben "Norddeutschlands größter Szeneladen", betreibt.

Wilfried Hensch, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Harburg in Buchholz, sieht die Pfingstkrawalle in Tostedt im vergangenen Jahr als Hintergrund für die hohen Zahlen. Damals kam es zu Schlägereien zwischen Tostedter Neonazis und Linksradikalen. Die rechte Szene in Tostedt, so der Kriminaloberrat, sei schon seit Ende der 90er-Jahre sehr etabliert. Als der Vorgänger von Stefan Silar vor einigen Jahren nach Hannover umgezogen sei, "dachten wir schon, die Szene würde sich zerschlagen, aber dann tauchte kurze Zeit später Silar auf, und die Szene blieb so rührig", so Hensch.

Der Kriminologe und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Professor Christian Pfeiffer, sagt: "Rechte bündeln sich dort, wo einzelne charismatische Persönlichkeiten es schaffen, ein Netzwerk aufzubauen." Es seien zumeist sehr reiche Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut, die, so Pfeiffer, insbesondere die Jugendlichen der Umgebung an sich binden. Und dort entstehe dann, so Pfeiffer, eine enorme Verdichtung Rechtsradikaler.

Von seinen Parteikollegen in Hannover alarmiert, versucht der Kreistagsabgeordnete im Landkreis Harburg, Dr. Dieter Rednak (Die Linke), die Fraktionen im Kreistag für das Thema zu sensibilisieren. Bislang blieb er allerdings recht erfolglos. Erst in der jüngsten Kreistagssitzung brachte der Buchholzer einen Resolutionstext zur Abstimmung ein. Darin heißt es unter anderem: "Im Landkreis Harburg darf kein Platz für Nazis sein! Der Kreistag ruft alle Einwohner des Landkreises auf, sich gegen das zu beobachtende Anwachsen von Nazistrukturen und rechter Gewalt aktiv zu beteiligen und ihnen in Zukunft Einhalt zu gebeten."

Der Resolutionstext wurde wegen "mangelnder Dringlichkeit" nicht beraten und in den zuständigen Fachausschuss verwiesen. Ruth Alpers, Fraktionschefin der Grünen im Harburger Kreistag, hält die Zahlen aus dem Innenministerium für "erschreckend", und "wir müssen auf Kreisebene die Sache zum Thema machen, dürfen nichts verharmlosen". Der Text der Resolution von Rednak sei aus Sicht der Grünen zu "radikal formuliert", so Alpers.

Ihr Kreistagskollege Reinhard Riepshoff (SPD) aus Tostedt warnt davor, "den Fokus in Sachen rechtsextreme Szene allein auf Tostedt zu richten". In Tostedt gebe es bereits einen "hochkarätig besetzten runden Tisch, an dem auch der Landkreis mitarbeitet", sagt Riepshoff. Er habe sich in der Kreistagssitzung gewundert, dass es keine Beratung zu der Resolution gegeben habe. Riepshoff: "Wir haben eine eigene Resolution verfasst."