Hamburg. Ich liebe den Fußball. Trotzdem. Obwohl es mir immer schwerer gemacht wird. Aufgeblähte Turniere, ungleiche finanzielle Bedingungen, die einen fairen Wettbewerb zunichtemachen und die Hierarchien zementieren, oder das Instrumentalisieren von Sport für politische Zwecke, die Jagd nach den Millionen auf Kosten des Anstands, der Kommerz – die Liste der Fehlentwicklungen ist noch viel länger.
Mit Fußball hatte das, was sich in Neapel rund um das Champions-League-Achtelfinalrückspiel zwischen der SSC Neapel und Eintracht Frankfurt (3:0) abspielte, aber gar nichts mehr zu tun. Das Internet war schon in der Nacht zum Donnerstag mit schockierenden Bildern geflutet, die zehntausendfach im Netz geteilt wurden.
Ein schwarzer Mob hinterließ trotz der Begleitung durch die Polizei eine Spur der Verwüstung. Brennende Autos, zerstörte Schaufenster, Festnahmen und Verletzte, so lautete die Gruselbilanz, nachdem sich italienische und deutsche Krawallmacher in den Gassen der historischen Altstadt brutale Straßenschlachten geliefert hatten. Der Missbrauch eines Fußballspiels – einfach eine Schande.
Bei den Straßenschlachten in Neapel wurde der Fußball heftig missbraucht
Von Fans bei dieser Gruppe – einige Hundert waren es – zu sprechen, wäre eine Beleidigung für die Masse der Eintracht-Anhänger, denen es um Sport geht. Hier wurden Gewaltexzesse aufgeführt, die im ersten Impuls an längst überwunden geglaubte Zeiten der 1980er- und 1990er-Jahre erinnerten.
Dabei ist das Thema Gewalt in unserer Gesellschaft nie verschwunden, und damit auch rund um den Fußball nicht. Erinnern Sie sich nur an die EM 2016 in Frankreich, als es bei der Partie zwischen Russland und England (1:1) zu schweren Krawallen kam.
Womöglich hat Corona vorübergehend das Thema abkühlen lassen, längst ist es mit Wucht zurückgekehrt, auch in den deutschen Profiligen (siehe Rostocks Auftritt bei St. Pauli).
Wie kann man mit der andauernden Gewalt bei Fußballspielen umgehen?
Was gerade jüngeren Menschen den Kick gibt, sich mit Gleichgesinnten zu prügeln, darüber zerbrechen sich Soziologen seit vielen Jahren die Köpfe. Die meisten Fans leben ihre Aggressionen harmlos aus und finden durch Pöbeleien in den Stadien ein Ventil. Andere erhalten beim Fußball, der so viele Emotionen von Euphorie bis Trauer hervorrufen kann wie kaum etwas anderes, eine Bühne, hier finden sie Beachtung. Da macht Haue noch mehr Spaß.
Was mich aber viel mehr umtreibt, ist die Frage des Umgangs mit diesem Dauerphänomen. Obwohl gerade in Deutschland die allermeisten Clubs enorme Anstrengungen unternehmen und längst nicht ausschließlich auf Gegenaggression oder Abschreckung setzen, ist diese Sucht nach Gewalt nicht auszurotten.
Selbstverständlich leidet das Image des Fußballs unter diesen Bildern. Natürlich haben Gewaltorgien wie die in Neapel zur Folge, dass es im Stadion zu noch mehr Repressionen und Erlassen gegenüber Fans kommt, die aber die Spaltung zwischen den Randgruppen und dem großen, meist schweigenden Rest noch größer werden lässt – und schon gar nicht Gewalt verhindern kann.
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Es gibt nur begrenzte Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen
Während die „normalen“ Fans um einen Fußball-Festtag gebracht wurden, reisten viele Chaoten trotz des Verbots von Ticketverkäufen an Eintracht-Fans nach Italien und sorgten so für ein eindeutiges Ergebnis: nur Verlierer.
An dieser Stelle wäre es wohlfeil, schlaue Ratschläge und Empfehlungen zu geben (runder Tisch, Gewaltpräventionsmaßnahmen verstärken), nach dem Motto: der richtige Weg aus der Gewaltspirale. Identifizierung und Bestrafung der Verbrecher, Vereinsausschlüsse, Sanktionen gegen die Clubs, das alles gab und gibt es jedoch bereits. Die bittere Erkenntnis lautet deshalb: Im Fußball macht sich Ohnmacht breit, weil die Einflussmöglichkeiten des Sports am Ende begrenzt sind.
Auch in unserer Gesellschaft wächst die Anzahl derer, die sich nicht mehr unter einem (friedlichen) Nenner versammeln wollen. Ausschreitungen wie jene in Neapel sind eben nicht fußballspezifisch zu betrachten und besorgniserregend.
Harte Strafen sind nötig, aber auch der Dialog
Was ich mir wünsche: Dass der Fußball vor diesen Menschen mit allen Mitteln beschützt wird. Es muss harte Strafen geben, aber weiter unbedingt den Dialog, den Versuch der Prävention. Denn immerhin: Beim Fußball gibt es zumindest die Chance, diese Menschen zu erreichen und so einen großen Teil zum Nachdenken über das eigene Handeln zu bringen.
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