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Die Strategie von Bundeskanzler Olaf Scholz

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Lars Haider, Chefredakteur des Abendblatts.

Lars Haider, Chefredakteur des Abendblatts.

Foto: Andreas Laible

Olaf Scholz versucht nicht anders zu sein, als er ist. Was hinter der speziellen Art des Kanzlers steckt.

Das Spiel des Jahres 2023 steht schon jetzt fest. Es heißt „Erklär mir einer Olaf Scholz“, und es wird nahezu jeden Tag gespielt, bevorzugt in den Redaktionen deutscher Zeitungen oder Fernsehsender, gern auch an Stammtischen und in Wohnzimmern. Ein Land versteht seinen Kanzler nicht, und anders als bei Angela Merkel gibt es keinen Peter Altmaier oder Helge Braun, der die Rolle des geduldigen Cheferklärers übernimmt.

Und so meckern die einen darüber, dass Scholz bei der Unterstützung der Ukraine zu zaudernd und unentschlossen ist, während die anderen genau das als besonnen und vernünftig loben. So, als würden sie nicht über ein und dieselbe Person und deren Taten sprechen.

Olaf Scholz versucht nicht anders zu sein, als er ist

Dabei ist es nicht schwer, den Kanzler zu verstehen, wenn man sich ein wenig Mühe gibt und nicht der Hoffnung erliegt, dieser Olaf Scholz könnte ein anderer sein als der, den wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Der Mann ist, wie er immer war: schüchtern, rhetorisch eher mittelmäßig, niemand, der gern viele Worte verliert, und den man deshalb dazu auch nicht zwingen sollte.

Er ist nicht Politiker geworden, weil er es so liebt, Fragen von Journalisten zu beantworten (die von Bürgern mag er deutlich lieber). Er ist Politiker geworden, weil er glaubt, sich mit den Themen, auf die es ankommt, besser auszukennen als andere. Das mag manchmal arrogant wirken, dafür versucht Olaf Scholz aber nicht, anders zu sein, als er ist.

Scholz ist eine Art männliche Merkel mit Plan

In diesem Punkt ist er, wie in vielen anderen, seiner Vorgängerin Angela Merkel ähnlich. Scholz ist eine Art männliche Merkel mit Plan. Man kann sich darauf verlassen, dass alles, was der Kanzler sagt, sich an etwas orientiert, das er sich vorher überlegt hat. Das ist wichtig, wenn man sein Verhalten im Ukraine-Konflikt beurteilt. Führung bedeutet für ihn, allein das zu tun, was er für richtig hält, und nicht das, was andere von ihm fordern.

Dass er mit dieser sehr speziellen Art Bundeskanzler geworden ist, obwohl das nahezu alle, die sich in diesem Land mit Politik beschäftigten, für ausgeschlossen hielten, hat ihn auf seinem Weg bestätigt.

Das, was Kritiker als Zaudern empfinden, ist in Wahrheit Strategie

Politische Beobachter neigten und neigen dazu, Olaf Scholz zu unterschätzen. Das galt bis zur Bundestagswahl 2021 und gilt insbesondere seit Beginn des Ukraine-Krieges und hat viel mit den Mechanismen einer von Medien geprägten Demokratie zu tun, der sich ein Typ wie der Kanzler fast schon penetrant entzieht. Das heißt aber nicht, dass Scholz am Ende nicht doch auf der Seite der Sieger steht, auch wenn es in der Momentaufnahme nicht danach aussieht.

Wer die Politik des Kanzlers in Zeiten des Krieges verstehen will, muss nur gut zuhören, was ihm wichtig ist, denn das ist seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine dasselbe: Deutschland darf nicht Kriegspartei werden, der Krieg darf sich nicht ausweiten, alle Entscheidungen müssen im Einklang mit den Verbündeten getroffen werden. Das, was Kritiker als Zaudern empfinden, ist in Wahrheit kein Zaudern, sondern Strategie. Der Diskussionsprozess um die richtigen Entscheidungen laufe umso besser, „je weniger er öffentlich läuft“, hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit gesagt. Genau das ist die Überzeugung des Bundeskanzlers.

Olaf Scholz will Putin so wenig Angriffsmöglcikeiten bieten wie möglich

Der will Wladimir Putin so wenig Angriffsmöglichkeiten bieten, wie es nur geht, und das beginnt damit, wie Olaf Scholz über den Krieg und die Beteiligung Deutschlands spricht. Er weiß spätestens seit dem G-20-Treffen, das er fahrlässig mit dem jährlichen Hafengeburtstag verglich und das für Hamburg zu einer mittleren Katastrophe wurde, wie schnell sich Halbsätze verselbstständigen und zu einer Gefahr werden können.

Deshalb versucht er, so zu sprechen, dass jeder Satz so verstanden wird, wie er ihn gemeint hat, auch wenn der, der ihn hört, nicht dabei war oder den Kontext nicht kennt. Das ist mühsam, aber es reduziert das Risiko einer nicht nur verbalen Eskalation in Zeiten, in denen man sich nicht ausmalen möchte, was eine Eskalation bedeuten könnte.

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