Hamburg. Matthias Iken: Krieg in Europa, Kriegsgefahr in Asien. Wird die Welt verrückt?
Klaus von Dohnanyi: Die Weltordnung nach dem Krieg war geprägt von den Vereinbarungen der Großmächte in Jalta: Die Einflusszone der USA umfasste West- und Nordeuropa, Russland dehnte vereinbarungsgemäß seinen Herrschaftsbereich weit nach Westen aus. Der amerikanische Präsident Roosevelt sagte im März 1945 vor dem US-Kongress, man habe so das „stabilste Europa“ seiner Geschichte geschaffen, der Frieden werde mindestens 50 Jahre halten. Keine schlechte Prognose: 45 Jahre später ging der Kalte Krieg zu Ende, damit zerbrachen auch die Strukturen von Jalta, neue Freiheiten wurden möglich. Für Putin war das die „größte geopolitische Katastrophe“ der neuen Zeit, denn eine neue Sicherheitsordnung für Europa wurde nicht gefunden. Und das, während uns zugleich Pandemie und die Folgen des Klimawandels massiv zusetzen. Politische Herkulesaufgaben.
Iken: Gibt es einen schnellen Weg aus dieser „Sammelkrise“?
Dohnanyi: Bei der Klimakrise wissen wir, dass wir selbst schuld sind, also müssen wir uns ändern und handeln. An der Pandemie ist niemand „schuld“. Den Krieg hätten wir vielleicht durch die von Russland vorgeschlagenen Verhandlungen über den Nato-Beitritt der Ukraine abwenden können, aber wir verweigerten jede Verhandlung über dieses Thema. Nicht mit mehr Waffen, nur mit Verhandlungen über diese Frage wird es Frieden geben. Der Schlüssel liegt allein in Washington.
Iken: Warum gibt es in Berlin, ja in Europa kaum Opposition gegen den Kriegskurs?
Dohnanyi: Putin hat den Krieg angefangen, und so geht man nicht nur in Berlin gehorsam davon aus, auch alle Ursachen lägen bei ihm. Aber viele Sachkundige auch der USA betonen, dass der Westen wissen musste, wie kritisch aus Sicht russischer Sicherheitsinteressen ein militärisches Vordringen der Nato bis an seine Grenzen wäre. Dieses Thema ist in Medien und Parteien tabu, alle folgen blind der Darstellung von Nato und USA. Erst wenn die Wahrheit wieder salonfähig wird, werden wir Aussicht auf Frieden bekommen. Es wäre blamabel, wenn nur ein kalter Winter und massive Demonstrationen diese Wahrheit herbeizwingen würden.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung