Meinung
Sie haben Post

E-Mails zwischen Hamburg und Berlin

| Lesedauer: 2 Minuten

Foto: Laible/Berghäuser

Ein E-Mail-Wechsel von Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider und Christoph Schwennicke über eine Zeitenwende.

Christoph Schwennicke (r.) und Lars Haider pflegen eine E-Mail-Freundschaft, die wir jeden Sonnabend an dieser Stelle veröffentlichen.

Haider: Lieber Christoph, die Geschwindigkeit, mit der sich die deutsche Politik ändert, ist atemberaubend. Jetzt ist auch die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine beschlossene Sache. Und man fragt sich, mit den Worten der früheren Kanzlerin, ob das alles alternativlos ist?

Schwennicke: Ich bin da eher bei denen, die den Automatismus in immer schwerere Kategorien mit Sorgen sehen. Dessen Vertreter sagen: Panzerlieferungen machen keinen zur Kriegspartei. Steht so im Völkerrecht. Das Problem ist: Übers Völkerrecht ist Putin hinweggetrampelt. Übers Budapester Memorandum von 1994 auch. Die Gasverträge (Zahlung in Euro/Dollar) sind ihm schnurz. Seine Soldaten begehen Kriegsverbrechen. Und so einer soll sagen: Verdammt, da steht ja: Panzer sind noch okay? Vergiss es!

Haider: Vielleicht ist die Sprache, die jetzt gesprochen wird, die einzige, die Putin wirklich versteht. Auch er wird sehen, dass er den sowieso nicht sehr großen russischen Wohlstand verspielt hat, weil in zwei, drei Jahren kein westliches Land bei ihm mehr Energie kaufen wird.

Schwennicke: Ich hoffe, du hast recht. Wir beziehen aber immer noch für Unsummen Geld Gas, womit Putin seinen Krieg zahlt. Ich würde den Hahn zudrehen, bevor er es tut. So hart das ist. Und unterschätze nicht die Leidensfähigkeit Russlands. Und die Durchhaltefähigkeit.

Haider: Wie ist es um die Leidensfähigkeit der Deutschen bestellt?

Schwennicke: Wir wissen in der Mehrheit überhaupt nicht mehr, was Leid ist. In Frankreich wurde ein Präsident beinahe nicht mehr gewählt, weil er will, dass die Leute nicht mehr mit 62 in Rente gehen. Absurd ist das.

Haider: Manchmal wünscht man sich die guten alten Zeiten zurück, in denen wir über das Gendern stritten und dachten, keine anderen Probleme zu haben.

Schwennicke: Ich gehe sogar noch weiter zurück. Wenn ich alte Rockkonzerte auf DVD gucke, vorgestern Mother’s Finest 1978 im „Rockpalast“, und all die fröhlichen Menschen mit ihren lustigen Frisuren sehe, da denke ich: Mann, was für eine herrlich unbeschwerte Zeit war das! 78, „Rockpalast“, ist Zufall – und doch sprechend. Es gibt ein sehr kluges Buch eines Historikers, Frank Bösch, über das globale Schlüsseljahr 1979. Weißt du, wie es heißt? „Zeitenwende“. 1979 hat die in Wahrheit begonnen.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung