Meinung
Kolumne

Bauch statt Kopf – bloß nicht zu viel nachdenken.

| Lesedauer: 5 Minuten
Annabell Behrmann
Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin beim Hamburger Abendblatt.

Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin beim Hamburger Abendblatt.

Foto: Thorsten Ahlf

Weniger Kopf, mehr Herz: Man trifft mit Intuition zwar nicht automatisch die richtigen Entscheidungen – aber häufig die besseren.

Hamburg. Es gibt Tage, da durchforste ich angestrengt das Internet auf der Suche nach Inspiration für ein gutes Kolumnenthema. Manchmal zermartere ich mir stundenlang den Kopf – da muss doch irgendwo eine Idee versteckt sein! Wenn ich sie finde, verwerfe ich sie gern wieder – weil meine innere Kritikerin sie zu langweilig, zu belanglos findet.

Kann ich einen ganzen Text darüber schreiben, wie sehr ich mich daran erfreue, meinen Balkon mit Blumen bepflanzt zu haben? Interessiert das jemanden? Die Geschichten liegen auf der Straße, heißt es – doch wenn ich angespannt nach ihnen suche, laufe ich durch die Welt, als würde ich Scheuklappen an den Augen tragen. Zwar ist mein Blick zielgerichtet, aber ich kann all die wunderschönen Plätze um mich herum nicht wahrnehmen.

Kolumne über Herzensthemen

In solchen Momenten des Zweifelns ist mein Freund mein größter Ruhepol. Er weiß genau, wie er mich mit wenigen Worten wieder einfängt. Neulich stellte er mir zwei einfache Fragen: „Was bewegt dich? Was möchtest du den Menschen gern erzählen?“

Weniger denken, mehr fühlen. An dieses Motto erinnere ich mich seitdem vor jeder Kolumne. Ich schreibe darüber, was mir auf dem Herzen liegt.

Die Herausforderung einer Hochzeitsrede

Am allermeisten beschäftigt mich gerade die Hochzeitsfeier meiner besten Freunde an diesem Wochenende. Seit zwei Wochen versuche ich verzweifelt, mich bloß nicht mit Corona anzustecken, um auf keinen Fall ihren besonderen Tag zu verpassen. Das ist eine Herausforderung angesichts dessen, dass sich derzeit einer nach dem anderen in meinem Umfeld positiv meldet.

Ich durfte die Liebesgeschichte der beiden von Anfang an hautnah begleiten. Deswegen haben sie mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, ihre Traurede zu halten. Keine Sekunde habe ich überlegt. Das ist die größte Ehre, die sie mir erweisen könnten. Mit ganz viel Liebe und Tränen habe ich die Rede in einem Fließtext niedergeschrieben – doch als ich sie zur Probe zu Hause in meinem Wohnzimmer vortrug, kamen all die Emotionen, die ich noch beim Schreiben spürte, überhaupt nicht rüber.

Lieber das Herz als den Verstand sprechen lassen

Zu sehr habe ich mich an dem Text festgeklammert und ihn abgelesen. Also habe ich eine Woche vor der Feier alles umgeschmissen. Jetzt stehen auf einem Zettel nur ein paar Stichworte. Ich möchte weniger meinen Verstand, sondern mehr mein Herz sprechen lassen – falls ich überhaupt ein Wort herausbekommen und nicht zu sehr mit Heulen beschäftigt sein sollte.

Viele Menschen sind Könige darin, etwas zu zerdenken. Wie zum Beispiel ein Jobangebot: Was ist, wenn mir die neue Aufgabe doch keinen Spaß macht? Die Arbeitskolleginnen nicht nett sind? Oder ich versage, die Probezeit nicht überstehe und dafür meinen sicheren Arbeitsplatz aufgegeben habe? Die Angst entscheidet, im alten Job zu verharren, obwohl dieser einen gar nicht mehr glücklich macht.

Das Bauchgefühl liegt meistens richtig

Manchmal führt zu viel Denken auch dazu, dass eine möglicherweise großartige Liebesstory à la Nicholas Sparks schon nach dem ersten Kapitel endet. Der Kopf übertönt das gute Bauchgefühl: Was ist, wenn ich verletzt werde? Wenn es da draußen noch jemanden Hübscheres, Klügeres als mich gibt? Einige malen sich die schlimmsten Horrorszenarien in ihren Gedanken aus, die absolut nichts mit der Realität zu tun haben – und bleiben lieber von vornherein allein.

Ich bin überzeugt davon: In den meisten Fällen sagt einem das Bauchgefühl, was gut für einen ist. Mein Verstand hat mir vor inzwischen vielen Jahren geraten: Nimm seine Einladung bloß nicht an. Mein Herz hopste vor Freude und fragte: Worauf wartest du bitte schön? Es war definitiv eine der besten Entscheidungen meines Lebens, nicht auf meinen Kopf zu hören.

Kolumne: Plädoyer für die Intuition

2019, vor einer Pressereise nach Las Vegas, schwirrten Tausende Gedanken in meinem Kopf herum: Du wirst 21 Stunden unterwegs sein – lohnt sich das überhaupt für ein paar Tage? Du kennst niemanden dort. Und findest du nicht, dass dein Englisch etwas eingerostet ist? Ich habe so viele tolle Menschen aus der ganzen Welt bei dieser Reise kennengelernt – von dieser Erfahrung zehre ich heute noch.

Das heißt natürlich nicht, dass alles im Leben prima läuft, nur weil man auf seine Intuition vertraut. Man trifft nicht automatisch die richtigen Entscheidungen – aber häufig die besseren.

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